Wie man in den Wald hin­ein­rauscht, rauscht es auch zurück

von Tobias Kölling

Wie man in den Wald hin­ein­rauscht, rauscht es auch zurück

von Tobias Kölling

Ich war erst vor kur­zem krank­ge­schrie­ben und dar­um län­ge­re Zeit durch­ge­hend zu Hau­se. Die Rück­kehr in die­sen Zustand nach nur zwei Wochen „Frei­heit“ war nicht geplant. Es stört mich, schließt mich ein. Ich reagie­re eher mit dicker Haut — aus Iro­nie, Fak­ten­sam­meln und Abar­bei­ten von Auf­ge­lau­fe­nem. Aber es sind eher Refle­xe. Und wenn ich mich zu lan­ge ein­schlie­ße, wird die Haut taub. Wo bleib „ich“ dabei?

Damit bin ich nicht allein. Es gibt kein kör­per­li­ches Zusam­men­tref­fen in grö­ße­ren Grup­pen mehr, kei­ne Groß­kon­zer­te — kei­ne Raum­er­fah­run­gen.

Aber Diens­tag schal­te­te ich den Live­stream eines Home­of­fice-Kon­zerts ein, weil mich ein Kol­le­ge ein­ge­la­den hat­te. Es dau­er­te nur ein paar Töne und in mir wur­de es weich, dünn­häu­tig und glück­lich. Es liest sich banal – aber mich berühr­te sofort das: Da san­gen zwei. Für ande­re.

Und dann geschah etwas Beson­de­res: Das Lied war zu Ende. Und es war einen kur­zen Moment still. Weil da kei­ne Zuschau­er im Raum waren.

Man­fred Lütz hat mal vor­ge­schla­gen bei Kon­zer­ten inner­halb von Got­tes­diens­ten nicht zu klat­schen, die Stil­le wahr­zu­neh­men und aus­zu­hal­ten, — weil die Musik ja nicht in ers­ter Linie für die anwe­sen­den Men­schen singt, son­dern zur „höhe­ren Ehre Got­tes“, für ein höhe­res Ziel.

Aber: Bei dem Kon­zert war das noch etwas anders. Da war die Stil­le unver­meid­bar. Und woll­te sicht­lich gefüllt wer­den. Denn die Anzei­ge oben links zeig­te über 300 Zuschau­er. Die Kom­men­tar­spal­te floss gleich­mä­ßig durch. Die Sän­ge­rin hat­te Geburts­tag und erhielt Glück­wün­sche, eini­ge freu­ten sich, wenn ihr Lieb­lings­lied gesun­gen wur­de, ande­re schrie­ben, dass sie zu Hau­se mit­sin­gen — und immer wie­der die Rück­mel­dung, wie gut es tat zuzu­hö­ren, weil sonst so vie­les abge­sagt war.

Erst spä­ter merk­te ich: Es fehl­te etwas völ­lig: Selbst­dar­stel­lung. Wäh­rend ich bei Twit­ter und Face­book schon von mir sel­ber die Ver­su­chung ken­ne, beson­ders poin­tiert, bis­sig, iro­nisch for­mu­lie­ren zu wol­len, um gese­hen zu wer­den, war das hier anschei­nend nicht nötig.

Wenn wirk­lich jeder Mensch mit dem unsäg­li­chen Hun­ger nach Reso­nanz gebo­ren wird, dann wur­de die hier anders gefüllt, anders erfüllt. Es muss­te kei­ner schrei­en „Ich bin auch noch da“, weil sich jeder bereits in etwas wie­der­fand. In der Musik, in den Tex­ten und obwohl jeder bei sich zu Hau­se saß, form­te sich eine Gemein­schaft von Zuhö­rern. Und auf über 300 Bild­schir­men saßen zwei und san­gen sich selbst die See­le aus dem Leib und sie damit uns Zuhö­ren­den ins Herz. Und das taten sie, ohne einen ein­zi­gen zu sehen. Das braucht Ner­ven; das erzählt von Ver­trau­en, Hoff­nung und Über­zeu­gung.

Es gibt die Fra­ge, ob ein Baum, der umfällt ein Geräusch macht, wenn gar kei­ner zuhört. Bei dem Kon­zert war auch das anders.

Wir waren ein Wald und haben zurück­ge­rauscht. Die­sel­be Lie­be, die in den Wald hin­ein­ge­sun­gen, hin­ein­ge­spielt wur­de.

Foto: Sebas­ti­an Unrau/Uns­plash