Von Asche­bü­chern und Früh­ling­zwie­beln

von Thomas Hoogen

Von Asche­bü­chern und Früh­ling­zwie­beln

von Thomas Hoogen

Auf der Suche nach einer alten Hand­schrift sto­ße ich auf sie: die Wei­ma­rer Asche­bü­cher. So hei­ßen die ca. 25.000 Bücher­res­te, die den ver­hee­ren­den Brand der Her­zo­gin-Anna-Ama­lia-Biblio­thek im Jahr 2004 über­lebt haben – anders als die ca. 50.000 Doku­men­te, die kom­plett ver­brann­ten. Eine 2008 ein­ge­rich­te­te Werk­statt ver­sucht, die oft schwer beschä­dig­ten Asche­bü­cher in ihrem jet­zi­gen Zustand zu sichern und so der Nach­welt zu erhal­ten. Man­ches dar­in ist noch les­bar, ande­res nicht mehr. Und unüber­seh­bar: die Brand­spu­ren.

Mit Asche als „Ver­klei­dung der ande­ren Art“ begann auch die­ses Jahr die Fas­ten­zeit – gestreut, nicht gestri­chen. Eine Brand­spur, die, so ver­ab­reicht, kaum sicht­bar ist und schnell vom Win­de ver­weht. Trotz­dem hat mich das Zei­chen nach Ent­de­ckung der Asche­bü­cher sehr ange­spro­chen. Und alte Fra­gen auf­ge­wor­fen: Was mache ich mit mei­nen Brand­spu­ren aus frü­he­ren Ver­let­zun­gen oder dem Schwel­brand der aktu­el­len Ein­schrän­kun­gen? Kann ich, wie am Ascher­mitt­woch die Kir­che, damit erho­be­nen Haup­tes das Haus ver­las­sen? Wie fal­len mei­ne eige­nen Reak­tio­nen auf mei­ne Brand­zei­chen und die ande­rer aus? Und wie reagie­ren ande­re auf mich und wie ich auf deren Reak­ti­on? Wie gehe ich damit um, dass ich ein­mal nicht mehr auf die­ser Welt sein, aus­ge­löscht sein wer­de?

Ähn­lich unver­hofft wie die Fas­ten­zeit nach aus­ge­fal­le­nem Kar­ne­val brach jetzt vor­zei­tig der Früh­ling aus. Die Früh­lings­blu­men explo­die­ren. Beson­ders span­nend: Blu­men, die jedes Jahr aus der­sel­ben Zwie­bel aus­trei­ben und sich, wenn sie aus­ge­blüht sind, für die längs­te Zeit im Jahr wie­der unter die Erde zurück­zie­hen. Ich sträu­be mich, die Win­ter­ja­cke schon im Febru­ar weg­zu­le­gen. So wer­de ich sozu­sa­gen auch von der ande­ren Sei­te unüber­seh­bar auf die Fra­ge gesto­ßen: Wie hän­gen Tod und Leben für mich zusam­men?

In der Oper „Die Zau­ber­flö­te“ von Mozart, dem Her­zo­gin Anna Ama­lia kurz nach sei­nem Tod eines der ers­ten Denk­mä­ler setz­te, müs­sen zwei Haupt­fi­gu­ren vor dem Hap­py End durch die Ele­men­te, also auch durch das Feu­er gehen. Ich bin gespannt, wel­che Feu­er­pro­ben die­se Fas­ten­zeit für mich bringt …

Text: Tho­mas Hoo­gen
Foto: Maxim Lugi­na/Uns­plash