Vom Para­dies noch weit ent­fernt

von Gastbeitrag

Vom Para­dies noch weit ent­fernt

von Gastbeitrag

Wenn ich in Sim­bab­we auf mei­ne Hei­mat Deutsch­land ange­spro­chen wer­de, habe ich oft das Gefühl, es hand­le sich um das Para­dies schlecht­hin. Deut­scher Fuß­ball ist ein Traum. Der deut­sche Arbeits­ei­fer, die Pünkt­lich­keit, Zuver­läs­sig­keit und Pro­duk­ti­vi­tät erscheint vie­len als erstre­bens­wert. Das gesam­te Sys­tem, die Poli­tik und auch die Kanz­le­rin gel­ten als popu­lär. Man könn­te fast mei­nen, unser Land stün­de kurz vor der Hei­lig­spre­chung. Deutsch­land, gutes Land.

Ein Blick ins Deutsch­land des Jah­res 2015 zeigt, dass die Hei­lig­spre­chung fürs Ers­te ver­scho­ben wer­den muss. Die Rea­li­tät ist lei­der weni­ger glanz­voll als es schei­nen mag. Der Zustrom hun­dert­tau­sen­der Flücht­lin­ge erfüllt zahl­rei­che Bür­ger mit Angst und Sor­ge. Vie­le miss­trau­en der Poli­tik, der Pres­se, ja gar dem gan­zen Sys­tem. Und damit nicht genug: Die­se Angst hat sich bei vie­len längst in Hass ver­wan­delt.

Ich mag Ange­la Mer­kel. Ich mag ihre grund­sätz­li­che Ein­stel­lung in der Flücht­lings­kri­se. Natür­lich mag es noch vie­le Hür­den zu bewäl­ti­gen geben, natür­lich wur­de der Krieg in Syri­en viel zu lan­ge nicht beach­tet, natür­lich muss das Kri­sen­ma­nage­ment wei­ter­hin ver­bes­sert wer­den. Trotz allem bin ich zuver­sicht­lich: Deutsch­land wird auch an die­ser Her­aus­for­de­rung, der Auf­nah­me vie­ler Flücht­lin­ge, nicht schei­tern. Wir schaf­fen das. Dafür gibt es längst eine zwei­te Her­aus­for­de­rung, die deut­lich grö­ßer ist. Die­se Her­aus­for­de­rung kommt nicht von außen, sie fin­det sich in unse­rer eige­nen Gesell­schaft. Kon­kret liegt sie in den selbst­er­nann­ten Wut­bür­gern, die mit sym­bo­li­schen Gal­gen für Ange­la Mer­kel und Sig­mar Gabri­el durch Dres­den lau­fen. Die Asyl­hei­me in Brand ste­cken. Die Lokal­po­li­ti­ker bedro­hen, ver­bal wie phy­sisch. Die AfD und Pegi­da enor­me Zuläu­fe besche­ren.

Eine Gefahr steckt in all jenen, die inzwi­schen dem gesam­ten Sys­tem miss­trau­en. Für die Poli­ti­ker Heuch­ler sind und jedes Medi­um einen Teil der Lügen­pres­se dar­stellt. Einen Dis­kus­si­ons-Draht zu die­sen Men­schen zu fin­den – ich habe es sel­ber erlebt – ist kaum mög­lich. Posi­tio­nen sind fest­ge­fah­ren, statt­des­sen hält die Radi­ka­li­sie­rung an. Dabei ist die­se Bewe­gung doch so wider­sprüch­lich. Wie etwa ist die Siche­rung des oft erwähn­ten christ­li­chen Abend­lands mit Aus­län­der­feind­lich­keit ver­ein­bar? Ist im Chris­ten­tum die Nächs­ten­lie­be, die auch ein gutes Mit­ein­an­der mit Frem­den und Schwa­chen bedeu­tet, nicht im tiefs­ten Kern ver­wur­zelt? Genau dar­in offen­bart sich das Para­do­xe der Bewe­gung. Kaum einer von denen, die das Abend­land patrio­tisch ver­tei­di­gen wol­len, hat in den letz­ten Jah­ren eine Kir­che von innen gese­hen – dar­auf wet­te ich. Die ver­meint­li­chen Wer­te, die es zu schüt­zen gilt, exis­tie­ren bei die­sen Bür­gern nicht. Gäbe es sie, wür­den sol­che Bewe­gun­gen gar nicht erst ent­ste­hen kön­nen.

Des­halb ver­sagt an die­ser Stel­le auch jedes Gegen­ar­gu­ment. Weil Pegi­da und AfD ihren Zuspruch nicht mit ratio­na­len Argu­men­ten erzie­len, son­dern Ängs­te wecken und auf schwie­ri­ge Fra­gen leich­te Ant­wor­ten zu geben wis­sen. Kein logi­sches Argu­ment besteht gegen eine Ideo­lo­gie, die in sich nicht schlüs­sig ist.

Und so wird das Jahr 2016 weg­wei­send sein für die Rich­tung, in die sich unse­re Gesell­schaft ent­wi­ckeln wird. Es wird sich zei­gen, ob es den Par­tei­en der Mit­te gelin­gen wird, ver­lo­re­nes Ver­trau­en zurück­zu­ge­win­nen. Ob wir ähn­lich wie unse­re euro­päi­schen Nach­barn wei­ter zu mehr Natio­na­lis­mus nei­gen wer­den. Oder ob die bereits erwähn­ten Wut­bür­ger mit rechts­ori­en­tier­ten Über­grif­fen wei­ter ver­su­chen wer­den, das Gewalt­mo­no­pol des Staa­tes zu unter­gra­ben. Von para­die­si­schen Zustän­den sind wir in die­sen Tagen zumin­dest weit ent­fernt.

David Grze­schik

Foto: Kali­s­pe­ra Dell: PEGIDA Demo DRESDEN 25 Jan 2015 (CC-BY‑3.0)