Vol­le Fahrt vor­aus!

von Ulrike Purrer Guardado

Vol­le Fahrt vor­aus!

von Ulrike Purrer Guardado

Es gibt Din­ge, die hal­ten die meis­ten Men­schen für selbst­ver­ständ­lich. Sie wer­den uns nicht nur vom Gesetz so vor­ge­schrie­ben, son­dern schei­nen ein­fach wirk­lich sinn­voll zu sein und haben sich im All­tag bewährt. Kaum jemand käme auf die Idee, sie zu hin­ter­fra­gen. Oder haben Sie schon ein­mal an der Sinn­haf­tig­keit einer Ampel gezwei­felt? Damit mei­ne ich jetzt kein rotes Licht, das einen Rad­fah­rer nachts um 3 Uhr an einer voll­kom­men unbe­fah­re­nen Stra­ße zum Abstei­gen auf­for­dert, son­dern jene Ampeln an den ent­schei­den­den Kreu­zun­gen der Stadt, ohne die ganz schnell ein Ver­kehrs­chaos ent­stün­de. Ich mei­ne die Ampel als sol­che, die ver­läss­lich und gänz­lich unpar­tei­isch dafür sorgt, dass alle Ver­kehrs­teil­neh­mer zu ihrem Recht kom­men und auch der gro­ße Lkw war­tet, bis die Senio­rin mit ihrem Rol­la­tor die Stra­ße über­quert hat. Die Stei­ge­rung sind jene Ampeln, die zusätz­lich mit einem akus­ti­schen Signal für Blin­de aus­ge­stat­tet sind. Seh­be­hin­der­te Men­schen dür­fen sich beim Über­que­ren der Fahr­bahn dar­auf ver­las­sen, dass alle anwe­sen­den Fahr­zeu­ge den Ampel­über­weg respek­tie­ren.

Hier in Tuma­co wur­de erst vor ganz weni­gen Jah­ren das Ampel­sys­tem ein­ge­führt. Unse­re Stra­ßen sind eng und ver­win­kelt. Es gibt deut­lich mehr Schlag­lö­cher als Autos, aber dafür umso mehr Motor­rä­der und impro­vi­sier­te Kar­ren. Tau­sen­de alte Mopeds und moder­ne Zwei­rä­der zwän­gen sich durch Ein­kaufs­stra­ßen und Wohn­ge­bie­te vor­bei an Stra­ßen­händ­lern und fuß­ball­spie­len­den Kin­dern. Am schnells­ten kom­men dabei jene ans Ziel, die ohne Rück­sicht auf Ver­lus­te und mit dem Dau­men auf der Hupe ein­fach Gas geben und voll­kom­men angst­be­freit auf ihrem Vor­recht bestehen, egal ob sie sich auf der Haupt­stra­ße befin­den oder die­se aus einer win­zi­gen Sei­ten­gas­se kom­mend über­que­ren wol­len. Ich war gera­de erst dabei, das Motor­rad­fah­ren zu ler­nen, als in Tuma­co die ers­ten Ampeln instal­liert wur­den, und fand es eine groß­ar­ti­ge Idee. End­lich wür­de ich kei­ne Umwe­ge mehr fah­ren müs­sen, um die unüber­schau­ba­ren Kreu­zun­gen zu ver­mei­den, an denen ich regel­mä­ßig ins Schwit­zen kam. Über­all hör­te man Kom­men­ta­re zu die­ser Inno­va­ti­on, denn bereits eini­ge Tage zuvor erklär­ten bun­te Clowns an den ent­spre­chen­den Kreu­zun­gen, was die ver­schie­de­nen Far­ben der Ampel zu bedeu­ten haben, und sogar im Rat­haus und in den Schu­len fan­den Semi­na­re zu den erwei­ter­ten Ver­kehrs­re­geln statt.

So roll­te ich also ver­trau­ens­se­lig zum ers­ten Mal auf die gro­ße Kreu­zung mit der neu­en Ampel zu. Rot! Ich dros­sel­te die Geschwin­dig­keit, brems­te schließ­lich, doch … kei­ne Chan­ce. Nie­mand außer mir hat­te die Absicht anzu­hal­ten. Statt­des­sen über­roll­te mich von hin­ten eine hupen­de Men­ge aus Motor­rä­dern, Taxis und einem Bus, der mich ver­mut­lich platt gemacht hät­te, wenn ich nicht schnell genug wie­der hät­te Gas gege­ben kön­nen. Die glei­che Sze­ne wie­der­hol­te sich noch eini­ge Male. Immer wie­der ging ich gut­gläu­big davon aus, dass sich mei­ne Ver­kehrs­kol­le­gen ein­fach noch an die neu­en Regeln gewöh­nen muss­ten, dass es nur eine Fra­ge der Zeit wäre. Doch ich hat­te mich geirrt. Wo die meist­ver­brei­te­te (Über-)Lebensstrategie dar­in besteht, sich nicht um des All­ge­mein­wohls wil­len an gemein­sa­me Über­ein­künf­te oder Geset­ze zu hal­ten, son­dern eben die­se so geschickt wie mög­lich zum eige­nen Vor­teil zu umge­hen, sieht es für Ampeln schlecht aus. Und nicht nur für sie. All­zu häu­fig wer­den die­je­ni­gen ver­lacht, die sich an gewis­se Regeln eines respekt­vol­len Mit­ein­an­ders hal­ten. Cle­ver und durch­aus respek­tiert sind hin­ge­gen jene, die sich mit mög­lichst gerin­gem per­sön­li­chen Ein­satz so erfolg­reich wie mög­lich durchs Leben schla­wi­nern.

Die Über­zeu­gung, es selbst gut und rich­tig machen zu wol­len, damit wir letzt­lich alle davon pro­fi­tie­ren, muss offen­bar immer wie­der aufs Neue erkannt und ein­ge­übt wer­den. Auch von mir selbst. Oder fah­re ich inzwi­schen bei Rot nicht auch meist ein­fach wei­ter?

Foto: Thuur Kur­vers/Uns­plash