Taufe mit fast 90
von Matthias Fritz
Taufe mit fast 90
von Matthias Fritz
W. ist fast 90 und W. möchte getauft werden.
Das war der ganze Sachverhalt. So überraschte mich eine Bestatterin aus Aachen und fragte, ob ich mich mit W. nicht einmal treffen möchte. Ich war ehrlich gesagt etwas verwundert über diese Anfrage, aber fand sie ebenso spannend.
Ein 90-Jähriger möchte getauft werden und die Geschichte landet bei mir. Das klang für mich nach einer besonderen Berufungsgeschichte.
Früher habe ich gedacht, dass alte Menschen alle irgendwie Christen seien. Aber anscheinend gab es schon immer Menschen, die nicht getauft worden sind. Bye bye Illusion vom christlichen Abendland.
Denn W. wuchs als Sohn von Baptisten auf. Bei den Baptisten ist es aber normal, dass nicht Säuglinge oder Kinder getauft werden, sondern Erwachsene. In dieser christlichen Konfession entscheidet sich der Erwachsene selber dazu, Christ zu werden und es sind nicht die Eltern, die das für ihr Kind entscheiden. Anscheinend gibt es da nicht die Heilsängste, die viele Eltern in der katholischen Kirche noch geprägt haben. Oder einfach der Zwang, „weil es doch Tradition ist“. Bye bye Illusion von der Heilsangst. Kinder können sich auch selber zum Glauben entscheiden.
Die Entscheidung sich taufen zu lassen, hat W. lange umher getrieben. Vieles über den christlichen Glauben hat er im Krieg und über seine Frau gelernt. Mit seiner Frau ist er dann auch über 60 Jahre jeden Sonntag in die Messe gegangen. Aber dann, wenn es zur Kommunion kam, blieb er einfach sitzen. Tief beeindruckt war er auch, dass der Papst es ihm und seiner Frau erlauben musste, dass sie einen Heiden heiraten durfte. „Das waren Zeiten.“
Seit letztem Samstag ist W. jetzt ein Mitglied der christlichen Gemeinschaft, der katholischen Kirche. W. wurde getauft.
Vor der Feier in seiner Wohnung war er noch recht nervös, aber das legte sich im Lauf der Feier. Viel musste ich ihm auch nicht erklären. Das Vaterunser und das Glaubensbekenntnis kannte er schon, das hatte er 60 Jahre lang jeden Sonntag gehört und innerlich mitgesprochen. Was mich aber am meisten beeindruckte war, dass er in meinen Augen schon mindestens 60 Jahre zutiefst als Christ gelebt hat. Denn in der Mitte der Feier stand eine für mich zentrale Stelle aus dem Neuen Testament.
Matthäus 22,34 – 40
In allen Höhen und Tiefen, mit allem, was W. erlebt hat, hat er diesen Glauben schon gelebt. Vor allem mit dem zweiten – ebenso wichtigen – Gebot. Und seit dieser Taufe lässt mich der Gedanke nicht mehr los, wie viele Menschen dort draußen als Christen leben und es nominell nicht sind. Öffentlich ringen wir immer mit den vielen Menschen, die aus der Kirche austreten und dann sozusagen „undercover“ als Christen weiter leben. Was ist aber mit denen, die auf W. Art und Weise „undercover“ das mit uns teilen, was uns lieb und wichtig ist? Wenn es vielleicht auch nur zum Gottesbekenntnis fehlt. Hat dann das Christentum nicht schon ziemlich viel erreicht, wenn zumindest das zweite, ebenso wichtige Gebot schon seinen Platz in der Welt gefunden hat?
Foto: Dhammika Heenpella: IMG_6640.jpg (CC BY-NC 2.0)