Sie hat­te mich beim ers­ten Miau…

von Tobias Kölling

Sie hat­te mich beim ers­ten Miau…

von Tobias Kölling

Alles begann vor ziem­lich genau neun Jah­ren mit den drei magi­schen und gefähr­li­chen Wor­ten der Frau an mei­ner Sei­te: „Nur mal gucken…“

Kurz dar­auf stan­den wir im Zim­mer eines Köl­ner Tier­heims. Kratz­baum, Kat­zen­klo, Fress­näp­fe und ein gro­ßes Sofa. Die Mit­ar­bei­te­rin sag­te: „Hier sind zwei, die wur­den von der Feu­er­wehr gebracht. Der Vor­be­sit­zer hat sich umge­bracht und wur­de erst nach Tagen gefun­den.“

Ein grau­ge­ti­ger­ter Kater steck­te den Kopf unter dem Sofa vor und inspi­zier­te uns neu­gie­rig. Er hat­te die hüb­sches­ten Augen der Welt. Mei­ne Freun­din hob mutig und vor­sich­tig das Sofa an, um die zwei­te Kat­ze zu suchen und lös­te damit ein Fau­chen aus, wegen dem wir ihr spä­ter fast den Namen „Edna“ gege­ben hät­ten, — wegen dem Vul­kan. Bis zum Abhol­tag wuss­ten wir nur: Die Kat­ze war schwarz. Sonst nichts.

Wir wag­ten es trotz­dem. Unter (m)einer Bedin­gung: Der neu­gie­ri­ge Kater soll­te „Fin­dus“ hei­ßen und „mei­ner“ sein, weil ich noch nie zuvor Haus­tie­re hat­te. Die Frau an mei­ner Sei­te akzep­tier­te und tauf­te die wider­spens­ti­ge Kat­ze „Wil­ma“ – wie in „Feu­er­stein“.

So zogen kurz nach Kar­ne­val die Stu­ben­ti­ger bei uns ein – und in der ers­ten Nacht schlief ich schlecht, weil da Kral­len auf dem PVC kla­cker­ten. Für mich waren es Raub­tie­re.

Die schwar­ze ver­schwand umge­hend im Klei­der­schrank und ward fast nie gese­hen. Bei­de lie­fen geduckt davon, sobald man eine Was­ser­fla­sche trug oder beim Geräusch von Geschirr, das in die Schub­la­de ein­ge­räumt wur­de. Vor unse­rem geis­ti­gen Auge ent­stan­den Bil­der von flie­gen­den Schlüs­seln und Fla­schen.

Wäh­rend mei­ne Freun­din sich reso­lut Kater wie Kat­ze aus dem Schrank schnapp­te und sie beschmus­te, ging ich bei­den respekt­voll aus dem Weg. Wil­ma eil­te mit dem Bauch fast auf dem Fuß­bo­den durch die Zim­mer, wenn sie mal zum Klo oder vom Fres­sen kam und ich mach­te ihr Platz, damit sie durch die Tür­rah­men sprin­ten konn­te. Der Kater aber ver­schmäh­te mich zuse­hends und such­te Frau­chens Kraul­at­ta­cken.

Und so lag ich eines Abends allein auf mei­nem Bett und dös­te. Und da sprang mir Wil­ma vor die Nase und leg­te sich direkt vor mein Gesicht. Und blieb lie­gen, als ich vor­sich­tig mei­nen Arm zwi­schen ihre Pfo­ten schob und ihren Bauch kraul­te.

Neun Jah­re spä­ter sind wir immer noch ein Traum­ge­spann. Wil­ma hat zwei Umzü­ge und diver­se Stress­si­tua­tio­nen kla­ge­frei mit­ge­macht. Sie ist inzwi­schen alt und hat selt­sa­me Aus­set­zer. Nach jedem Gang vom Fress­napf singt sie z.B. allen das Lied ihrer Völ­ker. Auch mit­ten in der Nacht. Oder sie boy­kot­tiert eine Fut­ter­sor­te nach der nächs­ten. Manch­mal macht sie mich wahn­sin­nig. Aber dann erin­ne­re ich mich an die geduck­te Kat­ze, die sich nur ver­steck­te und mein Herz schlägt für die­sel­be Kat­ze, die mich mutig anmotzt, mor­gens aus dem Bett holt und pro­tes­tiert, wenn sie etwas stört.

Ihr Ver­trau­en in mich ist immer noch blind. Sie klet­tert unge­be­ten auf mei­nen Bauch. Jeden Abend geht sie gegen Mit­ter­nacht ins Bett und kommt mich not­falls holen. Wenn ich dann mei­nen Arm aus­stre­cke legt sie sich auf mei­nen Dau­men und kuschelt sich an. Und als ich übelst krank war, wach­te ich nachts auf und fand sie direkt in mei­ne Ach­sel ein­ge­rollt wie­der.

Auch wenn ich ihr nicht jeden Wunsch erfül­le: Ich habe bei ihr gelernt, nicht zu dres­sie­ren. Son­dern zuzu­las­sen. Mit Geduld und Zeit. Ohne anvi­sier­tes Ziel. Wer eine Kat­ze hat, weiß, dass er bes­ten­falls Tei­le ihres Ver­hal­tens, nicht aber ihr Wesen ver­än­dern kann. Das ist inzwi­schen zu einer Über­zeu­gung von mir gewor­den, die schon mei­nen pri­va­ten All­tag prägt. Genau­so arbei­te ich in mei­ner Firm­vor­be­rei­tung. Und ich ent­de­cke vie­les auch in mei­ner Fort­bil­dung zu per­so­nen­zen­trier­ter Gesprächs­füh­rung wie­der.

Kat­zen sind kei­ne Men­schen. Aber Wil­ma bringt mir bei, wie man vor­sich­tig ist. Ange­bo­te macht, ohne Erfolgs­ga­ran­tie. Offen bleibt, statt Rat­schlä­ge zu geben. Frei macht, statt abhän­gig.

Foto: Tobi­as Köl­ling