Klei­ne Schrit­te

von Tanja Hannappel

Klei­ne Schrit­te

von Tanja Hannappel

Ich mag es, Din­ge zu pla­nen. Mei­ne Freun­de wis­sen es zu schät­zen oder auch zu ertra­gen, dass ich es als total befrie­di­gend erfah­re, zu wis­sen, wann die nächs­ten Tref­fen anste­hen, was in den nächs­ten oder über­nächs­ten Feri­en ansteht, wo es im Klei­nen und Gro­ßen hin­ge­hen soll. Am liebs­ten gedank­lich immer einen Schritt vor­aus.

Da kommt Vor­freu­de auf. Aber noch mehr: Es gibt mir auch Halt. Da gibt es kei­ne Leer­stel­len, da gibt es kei­ne zu gro­ßen Lücken, die auf­kom­men könn­ten, kei­ne „lee­ren“, „unge­nutz­ten“ Wochen­en­den oder Feri­en. Das fühlt sich sicher an.

Und mal wie­der bie­tet mir die Coro­na-Zeit gera­de eine ech­te Her­aus­for­de­rung. Nach den Erfah­run­gen im Früh­jahr, bei­spiels­wei­se die klei­ne Ita­li­en­rei­se mit mei­ner Schwes­ter, dann auch vie­le Fami­li­en- und Freun­des­tref­fen, Kon­zer­te und auch grö­ße­re Rei­sen absa­gen zu müs­sen, kommt jetzt ein neu­es Gefühl hin­zu. Seit wir an unse­rer Schu­le vor kur­zem die ers­ten Coro­na­fäl­le mit immer wie­der neu­en Qua­ran­tä­nen hat­ten und die Beschrän­kun­gen wie­der strik­ter wer­den, mer­ke ich, dass nicht mehr nur die gro­ßen Events in Fra­ge ste­hen, son­dern mein ganz kon­kre­ter All­tag bedroht ist. Mir wird bewusst: Es kann jeden Tag sein – und ist gar nicht so unwahr­schein­lich — dass mich eine Qua­ran­tä­ne erei­len wird; damit ver­bun­den das Gefühl, völ­lig aus mei­nem All­tag geris­sen zu wer­den: Kein Raus­ge­hen, kein Sport drau­ßen, kein Ein­kau­fen, erst recht nicht das mit Vor­freu­de erwar­te­te Tref­fen mit ein paar Freun­den im klei­nen Kreis oder eine der ande­ren coro­na­kon­for­men Ver­an­stal­tun­gen; im Gegen­satz zum Lock­down dann aller­dings wahr­schein­lich, wäh­rend für alle Ande­ren das „fast nor­ma­le Leben in Coro­na­zei­ten“ wei­ter­geht.

Und ja, das mag ein Luxus­pro­blem zu sein, aber ich muss mir ein­ge­ste­hen, das macht mir irgend­wie Angst und for­dert mich mehr her­aus, als ich es erwar­tet hät­te. Ehr­lich gesagt ärgert es mich und nimmt mir so viel von mei­nem wohl­ge­plan­ten Halt. Da kann etwas völ­lig will­kür­lich über mich hin­ein­bre­chen, unge­ach­tet des­sen, wie vor­sich­tig ich mich bei­spiels­wei­se in der Schu­le ver­hal­te, durch­gän­gig mei­ne Mas­ke tra­ge, mei­ne Hän­de des­in­fi­zie­re und Abstand hal­te. Das ist doch unfair. Hier habe ich kei­ne Kon­trol­le, kei­nen Ein­fluss. Das fällt mir echt schwer.

Aber ist nicht genau das das Leben? Muss ich mir nicht ein­ge­ste­hen, dass das, was ich hier so unmit­tel­bar und kon­kret erle­be, jeder­zeit auch völ­lig unab­hän­gig von Coro­na pas­sie­ren kann? Din­ge, Men­schen, Plä­ne fest­hal­ten, das ist wahr­schein­lich – gera­de dann, wenn es einem gut geht – mensch­lich. Das gibt einem das Gefühl, die Kon­trol­le zu behal­ten, es beein­flus­sen zu kön­nen, was pas­siert, dar­auf Acht geben zu kön­nen, dass Din­ge so (schön) blei­ben, wie sie sind.

Aber da sind wir wie­der bei der Her­aus­for­de­rung: So ange­nehm die­se Idee für mich ist, das ist nicht, wie das Leben funk­tio­niert. Und auch wenn dies nicht völ­lig neu ist, trifft mich die­se Erkennt­nis. Ich kann vie­les, aber längst nicht alles kon­trol­lie­ren; nur sehr bedingt, was in mei­nem Leben heu­te, mor­gen, über­mor­gen pas­siert und auch nur wenig, was im Leben mir naher Men­schen geschieht oder wofür sie sich aus frei­en Stü­cken ent­schei­den. Coro­na kon­fron­tiert mich hier mal wie­der ganz unmit­tel­bar mit dem Leben.

Immer wie­der, wenn mir das klar wird, heißt es für mich: durch­at­men, viel­leicht auch schlu­cken, mit inne­ren Mons­tern kämp­fen, akzep­tie­ren, anneh­men, dass die Situa­ti­on gera­de genau­so ist. Und immer wie­der los­las­sen. Los­las­sen vom Gedan­ken, alles kon­trol­lie­ren zu kön­nen, los­las­sen davon, dass alle mei­ne Plä­ne genau­so auf­ge­hen, wie ich sie mir aus­ma­le, los­las­sen davon, zu viel Ein­fluss auch auf ande­re Men­schen neh­men kön­nen. Los­las­sen und die damit ver­bun­de­ne Unsi­cher­heit und Angst spü­ren. Inne­hal­ten und spü­ren. Erst ein­mal nicht wei­ter­ge­hen und Lösun­gen suchen. Nur füh­len, dass sie da sind.

Und in die­sem Aner­ken­nen der Angst, im „Immer-wie­der-los­zu­las­sen-Ver­su­chen“, im Hier­sein kommt mir das Wort „Gott­ver­trau­en“ in den Sinn; Ver­trau­en, dass Din­ge so kom­men wer­den, wie sie sol­len; Ver­trau­en, dass es viel­leicht einen grö­ße­ren Plan gibt; Ver­trau­en, dass Din­ge, die im Leben pas­sie­ren, mich her­aus­for­dern und mich wei­ter­brin­gen wer­den (viel­leicht beson­ders die, die ich so nicht für mich geplant hät­te); Ver­trau­en, dass ich dabei nicht allein bin. Auch die Bibel spricht immer wie­der von die­sem Gott­ver­trau­en, ob im Got­tes­na­men „Ich bin da!“, in so vie­len der Psal­men oder in den Wun­dern Jesu, von denen ich beson­ders die unein­ge­schränk­te Zuwen­dung und den Zuspruch Jesu an den Men­schen, der da gera­de bei ihm ist, so sehr bewun­de­re.

Ich bin mit dem The­ma noch nicht durch… Viel­leicht wer­de ich das in der Coro­na­zeit auch nicht schaf­fen, aber es ist eine Her­aus­for­de­rung für mich. Und ganz im Sin­ne die­ser Her­aus­for­de­rung und auch als klei­ne Hil­fe, in die­sem Ver­trau­en immer wei­ter klei­ne Schrit­te zu gehen, darf ich wie­der ein­mal mit einem Zitat aus einem mei­ner Lieb­lings­bü­cher enden:

Man darf nie an die gan­ze Stra­ße auf ein­mal den­ken, ver­stehst du? Man muss nur an den nächs­ten Schritt den­ken, an den nächs­ten Atem­zug, an den nächs­ten Besenstrich. Und immer wie­der nur an den nächs­ten.“ Wie­der hielt er inne und über­le­ge, ehe er hin­zu­füg­te: „Dann macht es Freu­de, das ist wich­tig, dann macht man sei­ne Sache gut. Und so soll es sein.

(Beppo Stra­ßen­keh­rer, aus „Momo“ von Micha­el Ende)

Foto: Mar­kus Spi­ske/Uns­plash