Du bist über­all und doch nicht hier

von Annika Burg

Du bist über­all und doch nicht hier

von Annika Burg

Ich lau­fe über den Pfad, der durch den Wald führt.
Die Bäu­me ver­lie­ren ihr Laub. Die Brü­cke ist glatt und feucht.
Ich schrei­te vor mich hin – gedan­ken­ver­lo­ren, unacht­sam.
Ich gehe die­sen Weg, den ich schon unzäh­li­ge Male gegan­gen bin.
Ich rie­che den Duft, der mir so ver­traut vor­kommt.
Ich sehe die Bäu­me, die seit Jah­ren dort ste­hen.
Ich ste­he in die­sem Wald.
In die­sem Wald vol­ler Bäu­me.
Vol­ler Erin­ne­run­gen. Vol­ler Momen­te und aus­lö­sen­den Gedan­ken.
Ich schrei­te wei­ter vor mich hin.
Ich lau­fe über die­se Brü­cke, bli­cke nach rechts und links hin­un­ter.
Beob­ach­te, wie das klei­ne Bäch­lein unter mir hin­weg­fließt.
Ich lau­fe wei­ter, immer wei­ter.
Mei­ne Füße tra­gen mich über die­sen Weg, den ich schon unzäh­li­ge Male gegan­gen bin.
Auto­ma­tisch und ohne dar­auf zu ach­ten, ste­he ich vor die­ser Bank.
Vor mei­ner Bank.
Vor unse­rer Bank.
Ich set­ze mich.
Hin­ter mir der Wald und vor mir das Meer.
Ich sit­ze hier und vor mir liegt die­se unend­li­che Wei­te. Die Uner­reich­bar­keit der Natur.
Ich füh­le mich so klein. So klein auf die­ser Welt.
Ich schaue in die Fer­ne und so vie­le Gedan­ken strö­men in mein Gehirn.
Ich kann nicht mehr klar den­ken.
Die­ser Ort war einst mein Ort.
Der Ort, an dem ich gelacht und manch­mal auch geweint habe.
Der Ort, der erst durch dich, zu mei­nem Ort gewor­den ist.
Und du?
Du bist fern.
Du bist wei­ter als das Meer.
Du bist so viel grö­ßer als ich.
Du bist immer hier und über­all und doch nicht mehr da.
Nie­mand ist mir näher und gleich­zei­tig doch wei­ter ent­fernt.
Ich kann dich nicht mehr hören,
ich kann dich nicht mehr sehen,
ich kann dich nicht mehr spü­ren.
Dein Lachen erklingt in mei­nen Ohren wie ein dump­fer Wider­hall längst ver­gan­ge­ner Töne.
Alles um mich her­um ist so still gewor­den …, obwohl doch alles in mir drin schreit.
Wo bist du?
Du hast gesagt, dass alle Wege nach Rom füh­ren und sowie­so immer nach Hau­se.
Was ist, wenn mein zu Hau­se aber kein Ort, son­dern nach all der Zeit nur du warst?
Wie kann ich jemals wie­der von zu Hau­se spre­chen, wenn ich gar nicht mehr weiß, was das bedeu­tet?
Ich füh­le mich so ver­lo­ren. Als hät­te ich mei­nen Kom­pass ver­lo­ren, mich im Krei­se gedreht. Was ist rich­tig und falsch?
Wie­so fühlt sich jeder Weg, den ich gehe und jede Ent­schei­dung, die ich tref­fe, an, als wür­de nicht Ich die­ses Leben leben?
Der Blick auf den Oze­an erdrückt mich.
Die Blät­ter fal­len.
Es reg­net schon wie­der.
Ich sit­ze hier.
Hin­ter mir der Wald und vor mir das Meer.
Und du?
Du bist dort oben. Über mir.
Dir geht es gut dort, wo du bist.
Du hast dei­nen Ort gefun­den und ich weiß, dass ein Teil von dir auch hier ist.

Hier bei mir, an mei­nem Ort.

Foto: Ahmet Yük­sek/pexels