Der ver­korks­te Hei­lig­abend

von Mareile Mevihsen

Der ver­korks­te Hei­lig­abend

von Mareile Mevihsen

Es gab schon eine Men­ge Weih­nach­ten in mei­nem Leben.

Es gab bes­se­re Jah­re und schlech­te­re. Es gab Jah­re, die nicht unglaub­lich berau­schend waren und doch, herz­li­chen Glück­wunsch, ich erklä­re die­ses Jahr zu mei­nem mise­ra­bels­ten Weih­nach­ten aller Zei­ten.

Ich weiß nicht, wann die ers­te Vor­ah­nung kam. Nicht die Pro­ble­ma­tik, was zum Anzie­hen zu fin­den, weder die häus­li­chen Stress-Dif­fe­ren­zen noch das uner­füll­te Krip­pen­spiel waren dra­ma­tisch. Und doch mach­te sich Unru­he breit statt Besinn­lich­keit. Als das Kind bei den Ver­wand­ten eine Lam­pe kaputt schmiss und kurz dar­auf der Mann mit “Mir ist nicht so” wort­los ver­schwand, nahm das Unheil sei­nen Lauf. Drei­ßig Minu­ten spä­ter war die Hälf­te der Fami­lie durch einen spon­ta­nen Magen­darm-Infekt außer Gefecht. Besche­rung ver­tagt, Kind umsonst wach gehal­ten und über­mü­det. Um zwei­und­zwan­zig Uhr an Hei­lig­abend sit­zen also der Hund und ich allei­ne auf dem Sofa und star­ren den geschmück­ten Baum an. Kei­ne Besinn­lich­keit, kei­ne Geschen­ke und Frie­den auf Erden sowie­so nicht. Hal­le­lu­ja.

Tau­sen­den von Men­schen geht es ver­mut­lich gera­de so wie mir. Die heu­te wütend sind, auf Gott und die Welt und die nei­disch ins warm beleuch­te­te Fens­ter schau­en. Die frus­triert sind, weil sie soviel inves­tiert haben und es ihnen am Ende nicht gedankt wird. Und die Ein­sa­men, die sind über­all da drau­ßen. Viel­leicht sind sie im Dienst in die­sen Tagen und fern von ihren Fami­li­en. Viel­leicht sind sie ohne Fami­lie und ohne Zuhau­se. Viel­leicht sind sie als Frem­de in einem Land, in dem nichts auf sie war­tet außer Miss­trau­en. Viel­leicht sind sie dort drau­ßen auf den Stra­ßen unter Brü­cken und an Bahn­hö­fen. Viel­leicht ver­brin­gen sie den hei­li­gen Abend in einem Heim und träu­men von längst ver­gan­ge­nen Tagen. Und viel­leicht hat sich die Nacht noch nie so dun­kel ange­fühlt wie heu­te und die Ein­sam­keit sich breit gemacht, wäh­rend wir nicht mehr räum­lich, son­dern nur Klicks von ein­an­der ent­fernt sind.

Wie schlimm muss es sein, an solch einem Tag inmit­ten die­ser Hoff­nungs­lo­sig­keit zu sein. Wie unfass­bar schlimm und nicht vor­stell­bar. Nein, an die­sem Weih­nach­ten ist nichts gut und Frie­den scheint wei­ter ent­fernt zu sein als je zuvor. Ich muss tief gra­ben in mir und mei­ner Hoff­nung, um an die­sem Abend ins Bett gehen zu kön­nen. Viel­leicht ist es nur das Wis­sen, dass ein neu­er Tag kom­men wird. Dass das Licht zurück­kehrt, egal wie dun­kel es jetzt ist. Viel­leicht ist da der Glau­be dar­an, dass wir immer wie­der neu anfan­gen dür­fen.

Weih­nach­ten trifft uns und holt uns ein, egal, ob wir bereit dafür sind. Es durch­kreuzt unse­re Plä­ne und stellt sich in den Wind. Es holt uns ein, wäh­rend die Welt noch trau­ert nach dem Anschlag in Ber­lin, wäh­rend wir immer noch erstarrt sind nach dem letz­ten Jahr Welt­po­li­tik. Es bremst uns aus in dem Ver­such, uns sel­ber ein­zu­ho­len und kon­fron­tiert uns mit unse­ren eige­nen Eitel­kei­ten. Denn es ist weder prunk­voll, noch besinn­lich, noch annä­hernd das, was wir uns vor­ge­stellt haben. Weih­nach­ten strahlt nicht vor Leben. Beth­le­hem ist kein Syn­onym für Frie­den. Aber es bringt eine Hoff­nung mit, die so kraft­voll ist, die so gut tut, die wir so drin­gend brau­chen, dass sie uns erzit­tern lässt wie die Hir­ten auf dem Fel­de. Und erst wenn ich es wage, durch all das Licht, das mich dort auf dem Feld blen­det, durch das Ängs­ti­gen­de und Frem­de und Unwahr­schein­li­che hin­durch zu bli­cken, ich glau­be erst dann kann mich die­se Hoff­nung errei­chen. Wenn ich den Frie­den in mir nicht fin­de, dann wer­de ich ihn da drau­ßen ver­geb­lich suchen.

Nein, mein Abend ist nicht geret­tet durch die­se Gedan­ken. Ich bin immer noch wütend, ent­täuscht und trau­rig. Aber hey, ihr ver­lo­re­nen See­len da drau­ßen. Viel­leicht fin­det Weih­nach­ten euch eines Tages. Viel­leicht leuch­ten euch bereits Ster­ne, denen ihr es nicht wagt zu fol­gen. Viel­leicht wird da eines Tages eine Hoff­nung sein, so klein, so win­zig, wie das Kind in der Krip­pe. Aber viel­leicht wird sie eure Welt auf den Kopf stel­len? Und euch Frie­den brin­gen? Wer weiß das schon?