Das Tier in mir

von Gastbeitrag

Das Tier in mir

von Gastbeitrag

„Men­schen, die kei­ne Tie­re mögen, sind auch kei­ne Men­schen­freun­de“, sag­te mein Vater frü­her häu­fig. Heu­te weiß ich, dass das nicht auf jeden zutrifft, dem Tie­re nicht so lie­gen, aber so ein wenig ist die­ser Satz in mei­nem Kopf hän­gen geblie­ben. Tier­schutz stand bei uns daheim immer hoch im Kurs. Im Win­ter, wenn es schon gefro­ren hat­te und noch Kühe oder Pfer­de drau­ßen auf den zuge­eis­ten Wie­sen stan­den, ohne Unter­stel­lung, wur­de der Besit­zer ermit­telt und sich für die Tie­re ein­ge­setzt. Dass ein Tier kein Gegen­stand ist, son­dern ein zu schüt­zen­des Lebe­we­sen, war Ehren­sa­che und ein hohes Gebot.

Das ist für mich auch wei­ter­hin so und ich lie­be Tie­re. Als ich in Aachen mei­ne Assis­tenz­zeit star­te­te, fiel es mir vie­le Aben­de schwer, in mei­ne lee­re Woh­nung zu gehen, wo nie­mand mich erwar­te­te. Mein dama­li­ger Anlei­ter — selbst gro­ßer Kat­zen­fan — brach­te mich dann auf die Idee, mei­ne Woh­nung mit pel­zi­gen Vier­bei­nern zu fül­len und seit­dem hüten mei­ne zwei Ägyp­ti­schen Göt­ter Isis und Osi­ris erst mei­ne, dann unse­re Woh­nung, wenn mein Mann und ich unter­wegs sind. Immer noch den­ke ich oft an sie. Wenn ich unter­wegs bin, sehe ich sie vor mir, wie sie durch die Woh­nung tigern und mich zum Schmu­sen und Dosen­öff­nen auf­for­dern und ich freue mich jedes Mal, wenn ich die Türe auf­schlie­ße und sie schon vor mir sit­zen, um mich zu begrü­ßen. Mei­ne Hand durch ihr sei­di­ges Fell strei­fen zu las­sen, ist ein wun­der­ba­res Gefühl. Tie­re sind was für die See­le. Ein treu­er Freund, eine wirk­li­che Berei­che­rung für das eige­ne Heim — zumin­dest für mich.

Doch seit eini­ger Zeit mache ich mir auch vie­le Gedan­ken um die­se Freund­schaft, oder nen­nen wir es viel­leicht schon „Lie­be“, zu die­sen Tie­ren. Denn seit­dem Osi­ris im Früh­jahr letz­ten Jah­res vom Auto ange­fah­ren wur­de und mein Mann und ich eini­ge Tage um sein Leben bang­ten, weiß ich, wie ver­letz­bar ich bin, wie sehr ich an die­sen Tie­ren hän­ge und dass es für mich unglaub­lich schreck­lich sein wird, wenn ich sie tat­säch­lich eines Tages ver­lie­ren wer­de. Die Tage in denen nicht klar war, ob wir ihn ein­schlä­fern las­sen müs­sen, waren der Hor­ror für mich und seit­dem ban­ge ich jedes Mal, wenn er nun wie­der schrei­end vor der Tür steht und wie­der hin­aus­ge­las­sen wer­den will. Kommt er auch gesund wie­der zurück?

Das Erleb­nis sei­nes Unfalls und mei­ne eige­ne emo­tio­na­le Reak­ti­on dar­auf fin­de ich selbst sehr ver­wir­rend. Natür­lich hängt man an sei­nem Tier, aber ist es „nor­mal“, dass man so sehr an ihm hängt? Ich kom­me über die­ses The­ma häu­fig mit ande­ren Tier­be­sit­zern ins Gespräch und mer­ke, dass ich da kein Ein­zel­fall bin. „Der Hund ist mein bes­ter Freund“, sag­te jemand. „Wir haben um den Tod der Kat­ze mehr getrau­ert als über den der Oma“, sag­te ein ande­rer. Und noch jemand sag­te mir „Wenn ich wirk­lich ehr­lich bin, wäre es für mich wahr­schein­lich schlim­mer ein Tier anzu­fah­ren, als einen Men­schen oder gar ein Kind. Ich weiß, dass sich das schlimm anhört, aber irgend­wie ist es so“. Die Men­schen, mit denen ich sprach, gaben dafür Grün­de an, die für mich selbst gut nach­voll­zieh­bar und nach­spür­bar sind.

Ich spü­re, dass das Ver­trau­en zu mei­nen Tie­ren ein Höhe­res ist, als zu den meis­ten Men­schen um mich her­um. Isis und Osi­ris freu­en sich, wenn ich heim kom­me und ich ver­traue ihrer Freu­de da ganz. Da ist kein fal­sches Wort was über ihre Lip­pen kommt. Ich muss mich nicht fra­gen, wie ich heu­te aus­se­he und ob ich ihnen so gefal­le wie ich gra­de aus­se­he. Ob ich alles recht gemacht habe, ob ich ihre Erwar­tun­gen erfül­le. Nun gut, viel­leicht mur­ren sie, weil sie sofort wol­len, dass ich die Dosen öff­ne und sie mit Lecke­rei­en und Kuschel­ein­hei­ten ver­wöh­ne. Aber sie neh­men mich so wie ich bin. Und geht es mir schei­ße, kom­men sie ehr­lich besorgt und kuscheln sich an mich und ver­su­chen mich wie­der auf­zu­bau­en, indem sie schnur­rend auf mei­nem Schoß rum­stap­fen oder ihre Fell­na­sen gegen mei­ne Hand stup­sen. Ich habe wenig bis gar kei­ne Angst, dass die Kat­zen mir irgend­wann den Lauf­pass geben und sich einen neu­en Dosen­öff­ner suchen, auch wenn das schon vor­ge­kom­men sein soll. Die Kat­zen haben kei­ne Erwar­tun­gen an mich und ich kei­ne an sie. Men­schen gegen­über bin ich eher miss­trau­isch. Da hin­ter­fra­ge ich viel mehr, zwei­fe­le mehr an der Ehr­lich­keit ihrer Gefüh­le und Wor­te, habe Angst ver­letzt zu wer­den und unge­liebt zu sein. Und auch ich habe viel mehr Erwar­tun­gen in ande­re Men­schen, als in mei­ne Tie­re — was auch oft zu Ver­let­zun­gen füh­ren kann. Tie­re sind für mich grund­ehr­lich und ja, auch da mag es Kali­ber drun­ter geben, denen ich lie­ber aus dem Weg gehe, weil die Che­mie nicht stimmt. Aber das wird mir meis­tens sehr schnell durch ein Knur­ren oder Fau­chen deut­lich gemacht. Bei Men­schen wird das nicht so schnell deut­lich. Da wird oft gute, höf­li­che Mie­ne zum bösen Spiel getrie­ben. Gut so, dass wir nicht gleich jeden anfal­len, den wir nicht lei­den kön­nen. Aber irgend­wie auch scha­de, dass so viel Unehr­lich­keit und Ange­passt­heit unser Ver­hal­ten bestimmt, anstatt Ehr­lich­keit. Auch wenn sie weh tut.

Mein Grü­beln über die­ses The­ma zieht eigent­lich eine trau­ri­ge Bilanz, weil ich glau­be, dass es etwas über unse­re Gesell­schaft aus­sagt, wenn vie­le Men­schen für ihre Vier­bei­ner so viel tie­fer emp­fin­den als für ande­re Men­schen. Wir Men­schen ver­ein­sa­men, trau­en nie­man­dem mehr, sind ver­letzt, bau­en mitt­ler­wei­le an Robo­tern und vir­tu­el­len Assis­ten­ten, die mir Nach­rich­ten schrei­ben und mich fra­gen wie es mir geht. Wir erfin­den vir­tu­el­len Per­so­nen, die viel­leicht unse­ren Job mal über­neh­men oder mit denen ich mich anstatt mit einem rea­len Men­schen unter­hal­ten kann. Die Haus­tie­re sind da viel­leicht eine Vor­stu­fe von, erset­zen den mensch­li­chen Kon­takt, die Freun­de, die Kin­der, den Part­ner. Bald haben wir dafür viel­leicht vir­tu­el­le Per­so­nen, die wir zwar nicht strei­cheln, dafür mit ihnen reden kön­nen. Die Apps „Siri“ und AIVC (Ali­ce) ler­nen mit uns zu spre­chen und wenn ich Fra­gen habe, fra­ge ich doch ein­fach sie wie die Zuta­ten für den Kuchen sind oder ich bit­te sie mich an einen Ter­min zu erin­nern. Der Tat­ort „Echo­lot“, der im Okto­ber 2016 im Fern­se­hen zu sehen war, zeigt ein Bild, wie es viel­leicht irgend­wann ein­mal aus­se­hen kann, mit Robo­tern und vir­tu­el­len Kon­takt­per­so­nen, die bald unse­re rea­len Freun­de, Kol­le­gen, Part­ner etc. ver­drän­gen. Ich fin­de das span­nend und zugleich macht es mir Sor­gen. Was bedeu­tet das für uns Men­schen, wenn wir mehr auf Face­book unter­wegs sind und mit vir­tu­el­len Per­so­nen in unse­ren Han­dys reden, als uns mit Freun­den real zu tref­fen und uns aus­zu­tau­schen? Was bedeu­tet es, wenn ich sage: Mein Tier ist mein bes­ter Freund? Kön­nen Tie­re Men­schen erset­zen? Kön­nen Robo­ter es? Job­mä­ßig viel­leicht, wenn immer mehr erwar­tet wird von einem Men­schen, wenn die Ängs­te nicht zu genü­gen und nicht mehr ver­trau­en zu kön­nen immer grö­ßer wer­den, wenn ich Angst habe mei­nen Job zu ver­lie­ren, weil ein ande­rer Mensch und irgend­wann ein Com­pu­ter und Robo­ter bes­ser ist als ich. Doch ver­pes­tet das nicht unser mensch­li­ches Mit­ein­an­der? Das Miss­trau­en unter­ein­an­der steigt jeden­falls immer mehr. Nicht ver­wun­der­lich in Zei­ten des Ter­rors und der Angst. Ich muss sagen, da wer­de ich trau­rig und mer­ke den Wider­stand in mir. Nein, so eine Welt will ich nicht. Und so eine Ent­wick­lung fin­de ich groß­ar­tig, aber auch schreck­lich irgend­wie. Ich lie­be mei­ne Tie­re wirk­lich sehr und mei­ne Gefüh­le für sie sind auch nicht schlimm: viel­mehr sind die man­geln­den Gefüh­le für die Men­schen um mich her­um schwie­rig, denn soll­te ich nicht mei­nem Mann, mei­ner Fami­lie, mei­nen Freun­den und mei­nen Kol­le­gen nicht eben­so ver­trau­en, dass sie genau­so ehr­lich mit mir sind und mich anneh­men, wie ich bin, so wie es mei­ne Haus­tie­re tun? Auch und gera­de dann, wenn es momen­tan Schei­ße läuft, ich nix hin­be­kom­me und aus­se­he wie 100 Jah­re Regen­wet­ter?!

Ich jeden­falls für mich fin­de die­ses The­ma wei­ter sehr span­nend und habe zumin­dest für mich den Anspruch, „das Tier in mir“ zu ent­de­cken und zu ver­su­chen, die Men­schen, die auf mich zukom­men, so anzu­neh­men, wie sie sind, nichts von ihnen zu erwar­ten, sie nicht nach ihrem Aus­se­hen zu beur­tei­len, sie zu trös­ten, wenn es ihnen schlecht geht, ehr­li­che Gefüh­le zei­gen, mich nicht zu ver­bie­gen, lie­be­voll zu sein und die Kral­len zu zei­gen, wenn es mir reicht und mei­ne Gren­zen über­schrit­ten sind, Schwä­chen zuzu­las­sen. Ein sehr schwie­ri­ges Vor­ha­ben viel­leicht, aber nicht unmög­lich. Wäre doch die gan­ze Welt ein wenig tie­ri­scher — zumin­dest im domes­ti­zier­ten Sin­ne ;)

Rapha­e­la Rein­dorf