Bil­der von mir

von Tanja Hannappel

Bil­der von mir

von Tanja Hannappel

An man­chen Tagen fin­de ich mich in einem beson­de­ren Spie­gel­la­by­rinth wie­der – in einem Laby­rinth aus mensch­li­chen Spie­geln. Und wie es in einem sol­chen Jahr­markt­ge­schäft üblich ist, sehe ich vor allem mich selbst, reflek­tiert in vie­len ver­schie­de­nen Glas­flä­chen, durch die ich mei­nen Weg fin­den muss.

Wäh­rend ich nun durch die­ses Laby­rinth irre, sehe ich mich umringt von Bil­dern von mir. In man­chen kann ich mich nur schwach und mil­chig erken­nen, ande­re erschei­nen klar und hell. Vie­le sind ein­ge­färbt, las­sen mich in beson­ders schmei­chel­haf­tem oder unvor­teil­haft grel­lem Licht daste­hen, man­che machen mich schmal, ande­re breit, wie­der ande­re über die Maße groß oder unschein­bar klein. Eini­ge Spie­gel­bil­der ver­grö­ßern ein­zel­ne Aspek­te von mir wie mit einer Lupe, ande­re las­sen mich in den skur­rils­ten For­men erschei­nen. Es übt eine Fas­zi­na­ti­on auf mich aus, mich durch die­se so unter­schied­li­chen Spie­gel zu sehen. Ich muss schmun­zeln, bin ver­wun­dert, wen­de mich ver­är­gert ab oder erschre­cke fast ein biss­chen vor die­sen Bil­dern, die ja mich dar­stel­len sol­len. Mich. Im Spie­gel­wald, der so unter­schied­li­che Bil­der von mir zeich­net, bin ich kaum noch in der Lage zu sehen, wer das eigent­lich ist.

Eini­ge Refle­xio­nen rufen den­noch auch Gefal­len in mir her­vor. Sie tun gut, sie schmei­cheln mir; viel­leicht, weil sie mei­nem eige­nen Bild ent­spre­chen, viel­leicht aber gera­de auch, weil ich mich genau auf die­se Wei­se oft nicht sehen kann. Ande­re Bil­der gefal­len mir weni­ger. Sie zei­gen Sei­ten an mir, die ich sonst gut zu kaschie­ren weiß, brin­gen all­zu deut­lich Vor­stel­lun­gen her­vor, wie ich – wie man – zu sein hat, wir­ken fast bedroh­lich und wer­den noch ein­schüch­tern­der, je näher ich ihnen kom­me. Sie kon­fron­tie­ren mich; mit der Fra­ge, wer ich wirk­lich bin, wer ich sein möch­te und ob das auch im Wider­stand zu die­sen über­mäch­ti­gen Bil­dern geht.

Vie­le die­ser Spie­gel­bil­der bestär­ken mich dar­in, wie ich mich sehe, wäh­rend ande­re mich ver­un­si­chern, mich mit mir selbst und mei­nen eige­nen Bil­dern in Kon­flikt brin­gen – auch, weil ich mer­ke, dass mir die­se Refle­xio­nen nicht egal sind und es mir schwer­fällt, ihnen aus­zu­wei­chen und mich von ihnen zu lösen. Ja, irgend­wie ärgert es mich, dass all die Spie­gel­bil­der in die­sem Moment so stark auf mich wir­ken. Einer­seits erhof­fe ich mir von ihnen Ori­en­tie­rung, ande­rer­seits brin­gen sie mich immer wie­der von mei­nem Weg ab, irri­tie­ren mich, ver­stel­len mir den Blick auf mein ganz eige­nes Bild.

Und so füh­le ich mich manch­mal in die­sem Spie­gel­la­by­rinth zwi­schen geschön­ten und getön­ten Schei­ben, zwi­schen Zerr­bil­dern, Erwar­tun­gen und Vor­stel­lun­gen mei­ner Mit­men­schen gefan­gen; und fra­ge mich, war­um ich nicht viel öfter den Aus­gang aus die­sem Kabi­nett fin­de und mich nicht zu sehr auf die vie­len Bil­der der ande­ren, son­dern auf mich selbst ver­las­se. Dabei weiß ich doch eigent­lich, dass die unter­schied­li­chen Refle­xio­nen oft vor allem mit den Spie­geln selbst, ihrem Alter, ihrer Wöl­bung, ihren Macken und Ker­ben, ihrem Mate­ri­al, ihrer Beschaf­fen­heit und auch mei­ner Nähe zu ihnen statt mit den Bil­dern, die sie wer­fen, zu tun haben; und dass auch mein Blick­win­kel, mit dem ich in sie hin­ein­schaue, das Spie­gel­bild ver­än­dert.

Und dann an man­chen Tagen in mei­nem Laby­rinth brin­ge ich zustan­de, was zu ande­ren Zei­ten kaum mög­lich erscheint: Ich atme tief durch, erken­ne Mus­ter und sehe immer deut­li­cher; wer ich bin und wer ich sein möch­te, was mir wich­tig ist und was mich aus­macht, wo ein Fremd­bild gut dazu passt und wo es ein Zerr­bild dar­stellt, das eigent­lich vor allem den Spie­gel selbst zeigt. Dann fin­de ich auf ein­mal den Aus­gang aus dem Laby­rinth und schaue mir für einen Moment all die Spie­gel inter­es­siert von außen an, erken­ne ihre Grö­ße und ihre Her­kunft, ihre Beschaf­fen­heit und ihre Tücken. Und dann schaf­fe ich es und ver­traue für einen Moment kei­nem die­ser Bil­der, son­dern nur mir selbst.

Bis zum nächs­ten Mal im Spie­gel­la­by­rinth.

Foto: Kel­ly Sik­ke­ma/Uns­plash