Besser als zaubern
von Tanja Hannappel
Besser als zaubern
von Tanja Hannappel
Es rauscht gerade… leider klingt es nicht nach sanftem Meeresrauschen, das man mit warmem Sand zwischen den Zehen und Sonne auf der Haut an einem weißen Strand hört… nein, irgendwie hat sich mein Kopf in der letzten Woche eher wie von einem dauernden Störrauschen berieselt angefühlt… Viel Arbeit, Unsicherheit, was da noch so auf uns zukommt, ganz viele Fragezeichen und Angespanntheit lagen fast greifbar in der Luft… Doch irgendwann kam mir mitten in dem Rauschen eine ganz wunderbare Stelle aus einem noch wunderbareren Roman wieder in den Sinn, auf die ich vor kurzem noch einmal gestoßen wurde (Danke dafür!) und die für mich so viel Klarheit besitzt, dass sie das Störgeräusch etwas vergessen lässt. Das Schöne ist, dass sie zeigt, dass wir alle nicht zaubern können müssen, um ganz viel zu bewirken.
Und da ich es besser als das Original gar nicht in Worte fassen kann, komme ich nicht umhin, immer wieder ein paar kleine Zitate aus Michael Endes besonderem Werk einfließen zu lassen.
Die Stelle, um die es mir geht, findet sich zu Beginn des Romans. Es geht darum, dass das kleine Mädchen Momo auftaucht und durch ihre ganz eigene Art und Ausstrahlung die Menschen „begeistert“ und regelrecht verändert, sodass sie immer wieder zu ihr kommen, um mit ihr zu sprechen. Schließlich fragen sich die Leute, was denn eigentlich so besonders an diesem Mädchen sei. Sie überlegen, ob sie sich vielleicht durch ihre Klugheit oder die richtige Wortwahl auszeichne und müssen dies letztlich verneinen. Auch könne sie weder ein Instrument spielen noch tanzen oder akrobatische Kunststücke vorführen, um die Menschen zu belustigen. Schließlich fragt man sich, ob sie vielleicht sogar zaubern könne. „Wusste sie irgendeinen Spruch, mit dem man alle Sorgen und Nöte vertreiben konnte? Konnte sie aus der Hand lesen oder sonst wie die Zukunft voraussagen? Nichts von alledem.“ Nach all diesen Überlegungen stellen sie schlussendlich fest:
„Was die kleine Momo konnte wie kein anderer, das war: zuhören. Das ist nichts Besonderes, wird nun vielleicht mancher Leser sagen, zuhören, das kann doch jeder. Aber das ist ein Irrtum. Wirklich zuhören können nur ganz wenige Menschen. Und so wie Momo sich aufs Zuhören verstand, war es ganz und gar einmalig.“
Im Folgenden wird beschrieben, wie sie, nur indem sie mit ihren großen, dunklen Augen da sitzt, ihre volle Aufmerksamkeit und Anteilnahme zeigt, bewirkt, dass den Menschen ganz neue Gedanken kommen, sie auf einmal wissen, was zu tun ist, sie sich frei und mutig und zuversichtlich fühlen. Und noch mehr:
„[W]enn jemand meinte, sein Leben sei ganz verfehlt und bedeutungslos und er selbst nur irgendeiner unter Millionen, einer, auf den es überhaupt nicht ankommt und der ebenso schnell ersetzt werden kann wie ein kaputter Topf – und er ging hin und erzählte alles der kleinen Momo, dann wurde ihm, noch während er redete, auf geheimnisvolle Weise klar, dass er sich gründlich irrte, dass es ihn, genauso wie er war, unter allen Menschen nur ein einziges Mal gab und dass er deshalb auf seine besondere Weise für die Welt wichtig war. So konnte Momo zuhören!“
Neben dem uneingeschränkten Lesetipp, den ich für den gesamten Roman aussprechen kann, nimmt diese Textstelle gerade jetzt doch auch etwas Druck: Wir müssen uns nicht verrenken, Kunststücke oder gar Zaubertricks auspacken, erst recht nicht die Zukunft voraussagen können oder immer einen schlauen Rat auf den Lippen haben. Für mich ist sie ein kleiner Anstoß, immer noch ein bisschen mehr, ein bisschen besser, wohlwollender, interessierter, empathischer und dabei gleichzeitig authentisch zuzuhören… Danke an alle, die mir und Anderen so oder fast so gut zuhören, wie die kleine Momo es tut!
Zitate aus: Michael Ende: Momo (1973)