Auf der Stra­ße beten

von Susanne Moll

Auf der Stra­ße beten

von Susanne Moll

Ein­mal im Jahr neh­me ich mir 4 – 7 Tage Zeit und wid­me mich Fra­gen, die im All­tag schon mal unter­ge­hen. Ist mei­ne Lie­be, die die Grund­la­ge mei­ner Arbeit als Theo­lo­gin in die­ser Kir­che ist, noch leben­dig? Lebe ich noch aus der Lie­be Got­tes zu mir? Oder bin ich klein­geis­tig gewor­den, abge­lenkt von dem, was ihm und mir wich­tig ist? Gibt es was Neu­es zu ent­de­cken, was für Leben und Arbeit wesent­lich wäre? Ich lie­be die­se alte Tra­di­ti­on, die mei­ne Kir­che Exer­zi­ti­en nennt und mir als ihrer Mit­ar­bei­te­rin eine Woche im Jahr zur Ver­fü­gung stellt, sehr. Und ich möch­te sie in mei­nem Jah­res­lauf nicht mehr mis­sen. Ich wür­de dafür auch Urlaub neh­men.

Jah­re­lang bin ich für die­se Zeit immer an einen ent­le­ge­nen Ort gefah­ren, ein Klos­ter, ein Tagungs­haus, wo wenig ablenkt, wenn man sich in Bibel und Stil­le und Gebet ver­senkt. Zwei Jah­re lang hab ich schät­zen gelernt, dass das auch am Meer sehr gut geht.

Die­ses Jahr hab ich mal noch etwas ande­res aus­pro­biert. Ich habe an Stra­ßen­ex­er­zi­ti­en (strassenexerzitien.de) teil­ge­nom­men. Chris­ti­an Her­wartz, ein Jesu­it, hat damit vor Jah­ren begon­nen und mitt­ler­wei­le kann man an vie­len Orten in Deutsch­land die­se Exer­zi­ti­en machen.

Die Idee dabei ist, sich nicht in die Stil­le zurück­zu­zie­hen, son­dern in der Stadt Gott zu suchen all das oben Beschrie­be­ne zu fin­den: Got­tes Lie­be, Rück­bin­dung an ihn und Neu­aus­rich­tung. Und das funk­tio­niert, wenn man das Leben der nor­ma­len Stadt­men­schen nicht aus­blen­det dabei, vor allem das Leben der armen und klei­nen Leu­te nicht, die halt, die Jesus beson­ders am Her­zen lagen. So habe ich in den vier Tagen Exer­zi­ti­en letz­te Woche tags­über kei­ne per­sön­li­che Rück­zugs­mög­lich­keit gehabt, kei­nen Medi­ta­ti­ons­raum, kei­ne orga­ni­sier­ten Mahl­zei­ten zwi­schen Früh­stück und Abend­essen. Mor­gens und abends haben wir in unse­rer klei­nen Grup­pe Essen und Erfah­run­gen geteilt. Dazwi­schen war jede/r allei­ne unter­wegs.

Und was soll ich sagen? Auf den Stra­ßen und in den Gas­sen der Mil­lio­nen­stadt bin ich an vie­len Stel­len Gott begeg­net, ein­fach weil ich mich davon berüh­ren ließ, was ich an Men­schen und Situa­tio­nen sah. Wie z.B. vom viel­leicht 10-jäh­ri­gen Jun­gen, der am Fens­ter im 1. Stock eines recht her­un­ter­ge­kom­me­nen Hau­ses saß, ein Spiel­zeug­ge­wehr in Hän­den hat­te und vor­bei­ge­hen­de Pas­san­ten “abknall­te.” Den sah ich am ers­ten Mor­gen und er ging mir seit­dem nicht mehr ganz aus dem Kopf. Täg­lich ging ich an dem Haus vor­bei und fing an, ihm einen Schutz­en­gel her­bei­zu­be­ten. Klingt hilf­los? Ist es auch irgend­wie. Aber gute Wün­sche haben noch kei­nem gescha­det. Ziem­lich berührt war ich dann noch­mal am nächs­ten Tag, als ich sah, dass unter sei­nem Fens­ter zwi­schen diver­sen Gra­fit­tis groß AMOR, also “Lie­be” geschrie­ben stand. Möge das Wort wie ein Segen für den Jun­gen und die andern Men­schen in die­sem Haus sein.

Oft hab ich auch still auf einer Bank am Rhein geses­sen. Da hab ich auch mal medi­tiert, wäh­rend eine Frau an der nächs­ten Bank Ver­ren­kun­gen mach­te, die ich für Yoga hielt. Wir haben uns anschlie­ßend freund­lich zuge­lä­chelt, zusam­men mit den offen­sicht­lich mus­li­mi­schen Groß­el­tern, die mit einem Kin­der­wa­gen unter­wegs waren.

Es war gut, mich in so bun­ter Gesell­schaft zu befin­den, mich dort wohl zu füh­len und genau dort mit mei­nem Gott zu spre­chen. Ich bin nach­denk­lich aber auch froh­ge­mut aus mei­nen Stra­ßen­ex­er­zi­ti­en nach Hau­se gekom­men. Ich werd jetzt auch in mei­nem All­tag öfters auf der Stra­ße beten gehen und mit Got­tes lie­be­vol­ler Bril­le Men­schen anse­hen. Mal gucken, was das noch mit mir macht.

Foto: Susan­ne Moll