Ascher­mitt­woch – (das) Leben der (un-)begrenzten Mög­lich­kei­ten

von Nils Gerets

Ascher­mitt­woch – (das) Leben der (un-)begrenzten Mög­lich­kei­ten

von Nils Gerets

„Beden­ke, Mensch, dass du Staub bist und wie­der zum Staub zurück­keh­ren wirst.“ Die­ser Satz, der beim Ver­tei­len des Asche­kreu­zes den Emp­fan­ge­nen zuge­spro­chen wird, erin­nert mich in die­sem Jahr an das Leben der (un-)begrenzten Mög­lich­kei­ten.

Vie­le Jah­re leb­te ich in der Wahr­neh­mung schein­bar unbe­grenz­ter Mög­lich­kei­ten, aber in letz­ter Zeit häu­fen sich doch auch in mei­nem per­sön­li­chen Umfeld die Nach­rich­ten über die Begren­zung der Mög­lich­kei­ten. Damit mei­ne ich in der aktu­el­len Zeit aus­nahms­wei­se nicht die Begren­zun­gen, die unser all­täg­li­ches Leben auf­grund der Coro­na-Pan­de­mie erfährt. Es sind viel­mehr die Nach­rich­ten aus dem Fami­li­en- und Freun­des­kreis, die deut­lich wer­den las­sen: Das Leben ist begrenzt.

Da ist zum Bei­spiel die töd­li­che Krebs­er­kran­kung, die nun eine Stim­me aus dem Chor für immer ver­stum­men ließ. Oder die Arbeits­lo­sig­keit, weil sich die Fir­ma gegen die welt­wei­te Kon­kur­renz nicht mehr behaup­ten kann oder die Mana­ger sich ver­spe­ku­liert haben. Oder das ärzt­li­che Unter­su­chungs­er­geb­nis, das sagt, dass das Leben mit Mit­te drei­ßig in Zukunft doch anders ver­lau­fen wird, weil das Leben bereits irrepa­ra­ble Spu­ren der Abnut­zung am Kör­per hin­ter­las­sen hat. Da ist aber zum Bei­spiel auch die Geburt eines Kin­des, wel­ches die Eltern zwar unend­lich glück­lich macht, aber das all­täg­li­che Leben und den Akti­ons­ra­di­us für die nächs­ten Jah­re deut­lich ein­schrän­ken wird … All das macht mir deut­lich: Unser Leben ist begrenzt.

In den letz­ten Tagen ist mir dabei noch ein­mal sehr bewusst gewor­den, was für mich eigent­lich „Leben“ heißt: Mög­lich­kei­ten zu haben, sie zu nut­zen, zu gene­rie­ren, sie zu ver­lie­ren. Und mit einem Mal ist die Erkennt­nis bra­chi­al da: Nicht alles, was im Leben mög­lich gewe­sen wäre, habe ich als Mög­lich­keit auch erkannt und genutzt. Ich habe mich (un-)bewusst für oder gegen eine bestimm­te Mög­lich­keit ent­schie­den und zugleich damit ande­re Mög­lich­kei­ten begrenzt oder aus­ge­schlos­sen. Dar­aus ent­steht der Schmerz, dass der Zeit­punkt – die ande­re Mög­lich­keit aus­zu­wäh­len – unwi­der­ruf­lich vor­bei ist, es ent­steht die Trau­rig­keit, weil der Zeit­punkt der Alter­na­ti­ve nie­mals wie­der­kom­men wird. Das zu akzep­tie­ren fällt mir zuge­ge­be­ner Maßen nicht leicht. Zu wis­sen, es gab in mei­nem Leben Mög­lich­kei­ten, die wer­den für immer (theo­re­ti­sche) Mög­lich­kei­ten blei­ben und in mei­nem Leben nicht mehr gelebt wer­den. So muss ich mich von die­sen mög­li­chen Mög­lich­kei­ten ver­ab­schie­den.

Natür­lich gibt es gren­zen­lo­se Opti­mis­ten, die mir nun mög­li­cher­wei­se ent­ge­gen­hal­ten: „Es ist nie zu spät! Du kannst doch noch immer! Dei­ne Gren­ze ist doch nur im Kopf oder eine gesell­schaft­li­che Kon­ven­ti­on.“ Man­che Men­schen kön­nen eine sol­che Hal­tung leben, ich kann es lei­der, bzw. wenn ich man­che skur­ri­le Umset­zung die­ser Gedan­ken erle­be auch zum Glück, nicht.

Wenn ich ler­ne, dass mei­ne Mög­lich­kei­ten begrenzt und nicht unbe­grenzt sind, dann ler­ne ich viel­leicht auch anders zu leben, also mit einer ande­ren Qua­li­tät zu leben. Auf den Punkt gebracht: Akzep­tie­re ich die natür­li­che Begren­zung mei­ner im Leben leb­ba­ren Mög­lich­kei­ten, so wird die geleb­te Mög­lich­keit womög­lich erst in ihrer unbe­grenz­ten mög­li­chen Lebens­qua­li­tät erfahr­bar – beim (Er-)Leben der (un-)begrenzten Mög­lich­kei­ten. Zudem könn­te es auch sein, dass durch die Ent­schei­dung für und gegen eine Mög­lich­keit sich sogar neue Mög­lich­kei­ten erge­ben, die weder ande­re noch ich selbst bis­lang für mög­lich gehal­ten oder als Mög­lich­keit für mein Leben über­haupt in Erwä­gung gezo­gen hat­ten.

Ich hof­fe, dass ich nicht nur am Ascher­mitt­woch, son­dern auch irgend­wann im Rück­blick auf mein Leben sagen kann:

Das Leben der unbe­grenz­ten Mög­lich­kei­ten habe ich beim Leben mei­ner begrenz­ten Mög­lich­kei­ten erfah­ren.

Das wäre dann eine Ahnung von der Fül­le und Tie­fe des Lebens, die uns von Gott ver­hei­ßen sind und die uns viel­leicht hof­fen las­sen, dass Gott das schein­bar (Un-)Mögliche mög­lich machen kann und uns ein Leben der unbe­grenz­ten Mög­lich­kei­ten in ihrer*seiner Ewig­keit schen­ken wird.

Foto: Ben­ja­min Kauf­mann/Uns­plash