Kino im Kopf

von Matthias Fritz

Kino im Kopf

von Matthias Fritz

Paris // Musee d’Orsay

Ich ste­he in der Gale­rie des Muse­ums in Paris und schaue auf die Men­schen unten in der Hal­le her­un­ter. Schü­ler, die lust­los zwi­schen den Sta­tu­en und Bil­dern her­ge­hen. Die übli­chen Asia­ten, die die gro­ßen Meis­ter­wer­ke sam­meln, indem sie sie auf den Chip und in die Face­book-Time­line ihres Han­dy laden. Älte­re Men­schen, mit einem Klapp­ho­cker unter dem Arm, die sich medi­tie­rend vor einen Van Gogh oder Monet set­zen. Klei­ne, Gro­ße, Dicke, Dün­ne, alle Natio­na­li­tä­ten, gezwun­ge­ne und frei­wil­li­ge Besu­cher … Und hier oben füh­le ich mich ihnen gera­de sehr nah. Denn über den Köp­fen jedes Men­schen sehe ich einen Film ablau­fen – ihren Lebens­film. Ganz plötz­lich habe ich das Gefühl, dass die­se rie­si­ge Muse­ums­hal­le sich mit der Kraft von einer unglaub­li­chen Zahl an Bio­gra­fien füllt. Jede mit einem eige­nen Sound­track, jede mit einer Unzahl an Sta­tis­ten und Regis­seu­ren, jede mit der Bild­ge­walt eines Epos. Und der Raum ist voll. Ich bin aber nicht erschla­gen von die­ser Fül­le, son­dern freue mich dar­an.

Aachen // St. Eli­sa­beth

Das Gefühl ken­ne ich sonst nur aus Kir­chen, Moscheen oder Syn­ago­gen. Beson­ders ging es mir so in einer der Kir­chen, die wir damals beschlos­sen zu schlie­ßen. Der Raum war mir noch nicht rich­tig ans Herz gewach­sen. Aber ab dem Moment, da die Kir­che zur Schlie­ßung bereit stand, füll­te sich der Raum. Denn die Men­schen, die hier noch Got­tes­dienst fei­er­ten, erzähl­ten von ihren Erst­kom­mu­ni­on­fei­ern, der Tau­fe der Kin­der, der eige­nen Hoch­zeit, von den unzäh­li­gen Ker­zen und Gebe­ten und den Beer­di­gun­gen, die hier unter Trä­nen und mit Lachen gefei­ert wur­den. Und am Sonn­tag nach dem Beschluss der Schlie­ßung sah ich über die­sen Men­schen auch Fil­me ablau­fen – ihre Lebens­ge­schich­ten, die mit die­ser Kir­che in Ver­bin­dung ste­hen. Und dane­ben: frei schwe­ben­de Fil­me. Die Geschich­ten der Men­schen, die nicht mehr unter uns fei­er­ten, weil sie tot oder ver­zo­gen waren.

Der Moment im Muse­um war recht kurz. Ich weiß nicht, ob er eine Minu­te oder nur weni­ge Sekun­den dau­er­te. Aber der Raum ist jetzt ein ande­rer, wie auch der Kir­chen­raum, der jetzt einem ande­ren Zweck dient. Aber es bleibt die­ses Kino im Kopf – von den Geschich­ten der Men­schen, die mir im Bus, auf der Stra­ße oder auch zu Gesprä­chen begeg­nen.

Kennt Ihr die Kino­mo­men­te im Kopf auch? Erzählt davon – schreibt Sie uns in die Time­line oder als Kom­men­tar. Wir sind gespannt!