Wertschätzung
von Mareile Mevihsen
Wertschätzung
von Mareile Mevihsen
Eben hat’s mir den Tag verhagelt. Nichts ahnend bremse ich vor der Bank, steige aus, da brüllt es aus einem vorbei kommenden Auto: “Das ist jetzt nicht Ihr Ernst, oder?”. Schwups und weg und ich stehe völlig entgeistert vor der Frage, was in aller Welt jetzt nicht mein Ernst gewesen sein soll.
Gut, ich stehe dort, wo kein offizieller Parkplatz ist, jedoch auch kein Park- oder Halteverbot. Es ist genug Platz, um an mir vorbeizukommen, ich versperre keine Zufahrten. Ich stehe ein bisschen schräg, zugegeben, aber dafür diese Wut?
Das ist ähnlich wie neulich, als der Hund sein Geschäft erledigte und bevor er überhaupt fertig war, ich hatte das Tütchen schon in der Hand, da hämmert es in einem angrenzenden Haus an die Scheibe und ich werde wüst beschimpft.
Ich möchte so überhaupt gar nicht groß kommentieren, was gesellschaftlich aktuell in unserem Land passiert, aber wenn ich aus diesen Erfahrungen eines sagen darf: Der Ton wird rauer. Das fällt mir immer wieder auf, wenn ich alltäglich unterwegs bin.
Und ich lasse mich wirklich gerne von eifrigen Bürgern belehren, was ich falsch mache. Aber bitte auf eine Art: Wertschätzend.
Weil, wenn man nämlich Pech hat, dann gerät so eine wüste Beschimpfung an einen Menschen wie mich, für den der Tag danach gelaufen ist, weil er an der Frage grübelt, was er falsch gemacht hat. Und die eigentlich angemessene Ärgerei, doof angepöbelt worden zu sein, die richtet sich dann ganz schnell gegen einen selber. Und hach, dann wundern sich auf einmal alle, wenn wieder mal irgendwo was schiefgelaufen ist und Menschen, die mir vielleicht ähnlich sind, durchdrehen. Das ist jetzt sicherlich mein Problem. Aber fair ist das trotzdem nicht.
Und in der Kirchengemeinde schlagen sich die verfeindeten Parteien die Köpfe ein wegen … ja, was eigentlich?
Mann, Leute, die Gesamtstimmung ist echt zum Kotzen. Und bin ich jetzt Gutmensch, wenn ich mir wünsche, dass wir anderen mit dem nötigen Respekt begegnen?
Ich glaube, dass es ein besseres Wort dafür gibt — oder eher zwei: Christ sein. Und ich wünsche mir, dass wir endlich damit anfangen, uns nicht mehr festzuhalten an Grundsatzdiskussionen, sondern ins Handeln kommen. Dass wir aufhören, Wasser zu predigen und Wein zu trinken. Und anfangen, uns zu fragen, ob ein (womöglich?) falsch geparktes Auto oder der Minutengewinn beim Vordrängeln an der Kasse wirklich unsere elementaren Probleme sind.
Ich habe neulich eine mir wirklich wichtige Mail verfasst, die an einige Leute ging, denen ich eine persönliche Entscheidung mitgeteilt habe. Und das ist sicherlich naiv, aber — verdammt nochmal — ist es so schwer, ein “Danke” zu formulieren? Kann ich nicht sagen, “Ich kann deine Entscheidung nicht nachvollziehen, habe aber Respekt vor deiner Ehrlichkeit?”, “Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll, aber bin dankbar für seinen Mut”? …
Was ist denn unsere Angst? Dass da wirklich ein Stückchen Menschsein durch schimmert? Dass uns jemand nahe kommt in all unserer Fehlbarkeit? Dass uns jemand wirklich sieht, dass wir liebenswert sind. Dass Nähe Verletzlichkeit beinhaltet?
Ich muss es an dieser Stelle sagen: Ja, ich mache mir Sorgen. Über all das und soviel. Über den Wert, unter dem wir uns und andere verkaufen. Ich weiß, wir lösen damit keine Probleme, wenn wir ein bisschen “netter” zueinander sind. Aber schaden kann es jawohl definitiv nicht.
Christ sein. Nur zwei kleine Worte. Machen wir uns auf den Weg.