Abschied, Auf­bruch und Ankunft.

von Gastbeitrag

Abschied, Auf­bruch und Ankunft.

von Gastbeitrag

Der Moment, in dem sich die Schran­ke geöff­net hat­te, war der mit Abstand schlimms­te. Denn er bedeu­te­te Abschied. Abschied – das ist für mich ein gräss­li­ches Wort. Sich von Din­gen zu lösen, die man mag, fiel mir schon immer schwer. Aber jetzt führ­te kein Weg mehr dar­an vor­bei.

Ich leg­te mei­nen Rei­se­pass und mei­ne Bord­kar­te unter den Scan­ner. Er brauch­te zwei, drei Sekun­den. Dann gab er grü­nes Licht. Ich durf­te pas­sie­ren. Mit einer Trä­ne in bei­den Augen dreh­te ich mich um. Wink­te Papa, Mama, mei­nem Bru­der und mei­ner Cou­si­ne ein letz­tes Mal zu. So, jetzt war es genug. Es wür­de schließ­lich nichts mehr ändern, wenn ich noch ein paar Sekun­den län­ger ste­hen blieb. Ich bog links ab. Und mei­ne Rei­se begann.

Es ist wirk­lich selt­sam: Obwohl man so lan­ge weiß, dass der Tag des Abschieds kom­men mag, ist es in der Situa­ti­on selbst unheim­lich schwie­rig. Vor­stel­lung und Gewiss­heit sind in die­sem Zusam­men­hang zwei ganz unter­schied­li­che Paar Schuh. Und so kam es, dass der Abschied in mei­nen Gedan­ken noch vie­le Stun­den nach­hall­te. Wäh­rend des gesam­ten Flu­ges muss­te ich über all das nach­den­ken, was in den letz­ten Tagen gesche­hen war. Wie vie­len guten Freun­den ich für ein Jahr ‚Lebe wohl’ sagen muss­te. Das war hart. 26 Stun­den soll­te ich nun unter­wegs sein. Über Dubai, wo ich die Nacht ver­brach­te, soll­te mich mein Flug nach Hara­re in Sim­bab­we brin­gen.

26 Stun­den – end­los lang? Ganz und gar nicht. Ich weiß nicht ein­mal, was ich die gesam­te Zeit über gemacht habe. Ich habe kaum gele­sen, wenig Musik gehört, nur sel­ten ein Auge zu bekom­men. Dafür war ich inner­lich viel zu unru­hig. Die meis­te Zeit kram­te ich hek­tisch in mei­nen Gedan­ken. Das war am Sams­tag­nach­mit­tag.

Mit der Zeit näher­ten wir uns lang­sam aber sicher dem Sonn­tag­abend, an dem ich um kurz vor halb sechs ankom­men soll­te. Mit der Zeit wur­den mei­ne Gedan­ken rund um den Abschied weni­ger, statt­des­sen sorg­te ich mich um das, was nach der Lan­dung kom­men soll­te. Wür­de ich mein Tou­ris­ten­vi­sum pro­blem­los bean­tra­gen kön­nen? Hat mein Kof­fer den Umstieg in Dubai genau­so erfolg­reich gemeis­tert wie ich? Sind die Schwes­tern wie abge­spro­chen am Flug­ha­fen, um mich abzu­ho­len?

Ich ver­ließ das Flug­zeug und gelang­te in den Flug­ha­fen von Hara­re, wo man uns sogleich zu den Schal­tern für die Visa wei­ter­lei­te­te. Ich nahm mir ein For­mu­lar. Und — Mist. Ich ver­stand bei eini­gen Fel­dern nicht, was genau gefragt war. Ich erkun­dig­te mich bei ande­ren Pas­sa­gie­ren. Die hat­ten aber auch kei­ne Ahnung. Na klas­se. Ich mach­te mich auf den Weg zum Schal­ter, ein Stoß­ge­bet ‘gen Him­mel absen­dend und im Hin­ter­kopf schon die Gewiss­heit, gleich ein neu­es For­mu­lar aus­fül­len zu müs­sen. Aber es war ein­fa­cher als gedacht. Der Mit­ar­bei­ter las sich mein aus­ge­füll­tes Doku­ment nicht ein­mal ganz durch. Statt­des­sen ver­lang­te er die nöti­gen 30 Dol­lar. Und tada – schnel­ler als gedacht hielt ich mein vor­läu­fi­ges Visum in den Hän­den.

Wei­ter ging ich ans Gepäck­band, wo sich mein Kof­fer als einer der letz­ten im Kreis dreh­te. Yes, auch Auf­ga­be zwei von drei ging als gemeis­tert durch. Und als in der Ein­gangs­hal­le zwei Schwes­tern mit einem Schild mit einem Namen auf mich war­te­ten – da fiel auch der letz­te Rest Auf­re­gung von mir ab. „Hel­lo Sis­ters“, sag­te ich mit mei­nem unbe­hol­fe­nen Eng­lisch. Die bei­den Schwes­tern aus Sim­bab­we waren nett und freu­ten sich über mei­ne Ankunft. Mit dem Auto brach­ten sie mich zu ihrem klei­nen Kon­vent in Hara­re, wo wir eine Klei­nig­keit zu Abend aßen und ich sobald mein eige­nes Zim­mer bekam.

Abends lag ich im Bett, erschöpft vom anstren­gen­den Flug und den auf­rei­ben­den Abschieds­ta­gen zuvor. Am nächs­ten Tag soll­te ich zusam­men mit einer Schwes­ter den Bus von der Haupt­stadt nach Bula­wayo neh­men, die zweit­größ­te Stadt des Lan­des. Ich war noch lan­ge nicht am Ziel mei­ner Rei­se. Aber fürs Ers­te war ich beru­higt. Das Essen war einem ers­ten Ein­druck nach ganz gut, die Stadt zwar arm, aber durch­aus mit unse­ren Vor­stel­lun­gen ver­gleich­bar. Vor allem aber die Schwes­tern waren nett, hilfs­be­reit und inter­es­siert. Anders gesagt: Die Vor­stel­lung, in Afri­ka für ein Jahr leben zu kön­nen, schien gar nicht mehr so fremd.

Kurz vorm Schla­fen­ge­hen rief ich schließ­lich bei mei­nen Eltern an. Ganz unkom­pli­ziert und kos­ten­frei; Whats­App-Call und Sky­pe sei Dank! Ich erzähl­te, was die letz­ten Stun­den pas­siert war. Wie es mir ergan­gen war. Dass es mir gut geht. Mei­ne Eltern waren erleich­tert, ich genau­so.

Tod­mü­de in mei­nem Bett über­dach­te ich das Wort ‚Abschied’. Ist es in unse­rer heu­ti­gen Zeit eine tref­fen­de Bezeich­nung? Kann man von einem Abschied spre­chen, wenn man mit Freun­den und Fami­lie der­art leicht in Kon­takt blei­ben kann? Ist man wirk­lich raus aus der Welt, nur weil man sich knapp 20 Flug­stun­den von zu Hau­se weg befin­det? Woll­te ich nach Deutsch­land zurück, ich könn­te in weni­gen Tagen wie­der da sein.

Und vor allem: Ist es wirk­lich ein Abschied, wenn man mit den Leu­ten vor Ort auf Anhieb gut klar­kommt? Zu Hau­se ist da, wo Dei­ne Freun­de sind, heißt es in einem Lied. Der gräss­li­che Gedan­ke des Abschieds – bei mir war er fürs Ers­te ver­flo­gen.

David Grze­schik

Foto: David Grze­schik