Knast-Mahlzeit
von Matthias Fritz
Knast-Mahlzeit
von Matthias Fritz
Alles, was ich weiß ist, dass ich an der Pforte der JVA meinen Personalausweis abgeben muss und mein Handy besser daheim lasse. Und natürlich auch, dass wir uns begegnen werden: Acht von draußen und acht von drinnen. Aber wer da sitzen wird und wer von außen mit mir rein kommen darf, das weiß ich nicht.
Die erste Tür quietscht laut und ich stehe in einem Glaskasten. Der Beamte verlangt meinen Personalausweis und ich darf in den Eingangsbereich der JVA in Aachen. Heute ist Knast-Mahlzeit und neben sieben anderen Menschen von der Welt draußen vor den Mauern, werde ich auf acht Knackis treffen.
Was folgt, ist fast unbeschreiblich. Nach acht weiteren schwer verschlossenen Türen steht unsere Gruppe im großen Mehrzweckraum der JVA, in der ca. 700 Menschen derzeit leben müssen. Die Runde der Gefangenen steht locker neben der gedeckten Tafel und wir gehen rum und begrüßen uns per Handschlag. Und ich sehe Männer, die alle gekleidet sind wie du und ich. Männer in ganz unterschiedlichen Altersklassen, der eine groß, der andere rundlicher. Ganz unauffällige Männer.
Zu Tisch gebeten, sitzt mir ein junger Mann gegenüber, der nur wenige Jahre älter ist als ich. Sehr sympathisch, zuvorkommend und ehrlich erzählt er von seiner bisherigen Zeit hinter Gittern. Er beschreibt seinen Tagesablauf, erzählt von dem, was ihn hier stört und woran er Freude hat, dass er gerne kocht und dass ihm die Therapie gut tut. Wovon er nicht berichtet ist, warum er hier einsitzt. Aber der Gedanke kommt mir jetzt auch gar nicht, denn es ist ein angeregtes und tolles Gespräch, so dass wir sogar das Essen vergessen. Ein Gespräch mit intensiven Blicken, viel Lachen – einfach auf Augenhöhe.
Nach gut 90 Minuten werden wir in einen Sitzkreis gebeten. Wieder sitzt mir einer von drinnen gegenüber. Und in dieser Runde erzählen wir, woher wir kommen und was uns ausmacht. Anfangen dürfen die von drinnen. Und jeder erzählt, warum er einsitzt: Mord, Kindesmissbrauch, Beihilfe zum Mord, Drogendeals. Aber mein erster Eindruck bleibt. Die acht Männer sehen immer noch aus wie du und ich und ich kann ihnen gut in die Augen schauen.
Ein Gedanke macht sich in mir breit: Ich brauche nicht zu hören, was du getan hast. Für mich zählst du als Mensch — mit deiner Geschichte, aber du bist mehr als deine Tat. Und diesmal berührt mich wieder mein anderes Gegenüber innerlich. Denn er sitzt seit 1983 ein. In diesem Jahr bin ich geboren und er ist seitdem nicht einen Tag mehr vor dem Tor der JVA gewesen. Wie in einem Film rauscht an mir vorbei, was ich alles in diesen vielen Jahren erlebt habe und was sich in dieser Welt verändert hat: Telefone haben keine Wählscheibe mehr, die Mauer fehlt, wir reisen frei ohne Reisepass durch Europa und wir haben eine BundeskanzlerIN. All das hat er nur gehört, aber nicht auf der Straße oder in seinem eigenen Zuhause erlebt. Er hatte noch nie ein Smartphone in der Hand und war noch nie im Internet. All die Dinge, die mein Leben täglich ausmachen. Aber er lächelt und er erzählt frei, ja befreit, von seiner Geschichte. Er erzählt von dem, was ihn trägt und was ihn hält. Und wieder ist mir egal, was auch er getan hat. Denn er sitzt da als Mensch und schaut mich an. Und er versucht sein Leben zu leben und es aufrecht zu gehen.
Nach drei Stunden wird unsere Runde dann sehr direkt beendet. Um 21 Uhr ist Zellenschluss und alle acht von drinnen müssen in ihre Häuser zurück. Aber einen der acht Namen habe ich mir gemerkt und ich nehme mir vor, dass ich ihn in Gedanken und Gebeten begleite. Und ich würde mich freuen, wenn wir uns noch ein weiteres Mal begegnen.
Foto: Jonas Schleske: Aftermath (CC BY-NC-SA 2.0)