Tot!

von Matthias Fritz

Andy ist tot!

Eigent­lich habe ich Andy nie rich­tig ken­nen gelernt – sei­ne Lebens­ge­schich­te, sei­ne Erfah­run­gen auf der Stra­ße und was er da so Tag für Tag erlebt hat. Er saß aber immer drau­ßen in der Bon­ner Fuß­gän­ger­zo­ne. Immer an der glei­chen Ecke. Immer umrahmt von fri­schen Blu­men oder auch ein paar Topf­pflan­zen.

Andy kam zu uns zum „Stamm­tisch“. Im Stu­di­um hat­ten wir unten in unse­rem Wohn­heim der Pries­ter­kan­di­da­ten in Bonn einen Stamm­tisch ein­ge­rich­tet. Jeden Mor­gen fand der statt. Mon­tag bis Don­ners­tag kamen von 8 bis 9 Uhr die Jungs von der Stra­ße rein. Dann erfüll­te ein beson­de­rer Geruch das Haus. Ein Geruch mit einer Mischung aus zu star­kem Kaf­fee, Tabak, Schweiß und Dreck. Manch­mal misch­te sich auch ein Hauch von Alko­hol dar­un­ter, auch wenn der im Haus tabu war.

Andy kam auch zu die­sem Stamm­tisch. Er aß sein Brot mit Wurst, trank sei­nen schwar­zen Kaf­fee und brach­te ab und zu mal einen Kum­pel mit. Den hat­te er meist auf der Stra­ße ken­nen­ge­lernt und die Freund­schaft hielt, bis die­ser ihn beklaut hat­te oder wei­ter­ge­zo­gen war. Ob er sich den Rhein ent­lang nach Nor­den oder Süden beweg­te war egal. Aus den Augen aus dem Sinn. Andy kämp­fe für sich auf der Stra­ße.

Manch­mal erzähl­te er was von sich, aber nur recht sel­ten. Dass er schon mal abends für die Cafés in Bonn die Tische und Stüh­le für ein paar Euros rein­stellt oder auch schon mal einem Laden die Lie­fe­run­gen rein­trägt. Aber nie auch nur ein per­sön­li­ches Wort.

Ob es ihm pein­lich war, von sich zu erzäh­len?

Jür­gen und wie ande­ren Jungs beim Stamm­tisch auch hie­ßen, die erzähl­ten mehr.

Dafür frag­te Andy auch nie, was wir machen. Ob wir Pries­ter­kan­di­da­ten waren oder Medi­zin stu­dier­ten. Ob wir Profs waren oder ande­re Frei­wil­li­ge, die hier die Bro­te schmier­ten.

Für mich sind das beson­de­re Erin­ne­run­gen. Irgend­wie waren wir der Stamm­tisch – auch ohne gro­ße per­sön­li­che Infos. Aber Tag für Tag tra­fen wir uns für ein paar damp­fen­de Tas­sen schwar­ze Brü­he und ein paar Bro­te.

Wenn ich nach dem Stu­di­um noch­mal in Bonn zu Besuch war, bin ich immer wie­der auch bei Andy vor­bei­ge­gan­gen. Manch­mal woll­te er reden oder ich habe ihm ein­fach was Klei­nes da gelas­sen.

Ich wer­de Dich ver­mis­sen, Andy!

Foto: Mat­thi­as Fritz