Ohne Fil­ter

von Mareile Mevihsen

Ohne Fil­ter

von Mareile Mevihsen

Letz­te Woche auf einer Par­ty: Ein Bekann­ter erzählt mir, er hät­te letz­tens erfah­ren, dass es Apps gibt, mit denen man attrak­ti­ve Sin­gles im Umkreis von 300 Metern suchen kann. Er sel­ber, Kind der 60er Jah­re, war davon total erschüt­tert. Dass er sein Smart­phone sel­ber viel nut­ze, auch sozia­le Medi­en, ja. Aber er wür­de sich immer freu­en, wenn man mal in der Stra­ßen­bahn ein net­tes Gespräch füh­ren wür­de. Aber das wäre ja gar nicht mehr mög­lich, weil alle sich hin­ter dem Bild­schirm ver­ste­cken und alle den Kon­takt mei­den. War­um, fragt er mich, sprä­che man denn nicht ein­fach jeman­den im wah­ren Leben an, als ihn erst­mal per Medi­um Inter­net auf Herz und Nie­ren zu prü­fen?!

Da muss ich über­le­gen. Vor vie­len Jah­ren, als ich sel­ber Tee­nie war, kam das Inter­net auf. Ich ver­brach­te mei­ne Jugend hin­ter dem PC, ver­lieb­te mich in Wör­ter ohne Fotos. Irgend­wann schick­te man sich ein Bild, wenn man sich siche­rer war, viel­leicht tele­fo­nier­te man mal. Mei­ne Eltern wis­sen bis heu­te nicht, dass ich stän­dig auf Blind-Dates war, unre­flek­tiert, ohne zu rea­li­sie­ren, dass viel­leicht nicht alles so stimm­te, was mir mein Gegen­über ver­mit­teln woll­te. Erst nach dem Abitur fing ich an, mich davon zu lösen und den Kopf mal nach drau­ßen zu ste­cken. Ich war davon über­zeugt, dass man mich so, wie ich aus­sah, nie­mals anspre­chen oder gar lie­bens­wert fin­den wür­de, also fing ich mir die Men­schen über die See­le ein. Dach­te, wenn jemand viel­leicht das schil­lern­de Inne­re ken­nen wür­de, wäre das ande­re nicht so schlimm.

Heu­te in die sozia­len Medi­en zu schau­en, heißt noch­mal etwas ande­res. Da stellt sich ja nicht mehr die Fra­ge, ob ich mich mit Foto prä­sen­tie­re; Haupt­sa­che alles, was ich von mir preis­ge­be, zeigt mei­ne bes­te Sei­te. Geschön­te Bil­der, mit Pho­to­shop-Fil­ter gepimpt von mir selbst. Mein attrak­ti­ver Part­ner, mei­ne spek­ta­ku­lä­ren Urlau­be, Bil­der, in denen ich am Strand hüp­fe oder den Son­nen­un­ter­gang in der Hand hal­te. Und ja, das ist so wahn­sin­nig ver­lo­ckend, dass wir alle dem immer wie­der erlie­gen. Bil­den uns ein wir haben es im Griff, aber dann doch noch einen Kon­trast­fil­ter für strah­len­de Far­ben über mei­nem Pro­fil­bild, das macht ja auch irgend­wie Spaß.

Aus Gedan­ken geris­sen, schaue ich mei­nen Bekann­ten an. Wir ste­hen übri­gens in der Besen­kam­mer (die so groß ist wie mein Schlaf­zim­mer) einer Mil­lio­nen-Euro-Vil­la neben dem Kühl­schrank mit erle­se­nen Wei­nen und Cham­pa­gner. Und irgend­wie muss ich schmun­zeln, dass wir in die­ser Kulis­se solch ein Gespräch füh­ren. Mei­ne Ant­wort ist zöger­lich: Ich glau­be, dass wir uns gefan­gen­neh­men las­sen, von dem, was uns täg­lich prä­sen­tiert wird. Von all dem, was die ande­ren rich­tig zu machen schei­nen. Vor all dem schil­lern­den Glit­zern der ande­ren, wie soll mein zar­tes Licht da bloß leuch­ten?

Schrei­be ich jeman­den an und bekom­me kei­ne Ant­wort, dann lösche ich mei­ne pein­li­che Mail und hake das Ding ab. Aber wenn ich wirk­lich, ganz wirk­lich jeman­den anspre­che, dann gehe ich das Risi­ko ein, mich zu zei­gen, mich ver­letz­lich zu machen. Dann wer­de ich viel­leicht rot, wenn ich fra­ge, ob wir mal einen Kaf­fee zusam­men trin­ken. Dann begeg­ne ich die­sem Men­schen viel­leicht hin und wie­der und wer­de dar­an erin­nert. Dann lebe ich in stän­di­ger Unge­wiss­heit, weil die Rea­li­tät viel weni­ger steu­er­bar ist.

Aber letzt­lich, wann immer ich jeman­den span­nend fand auf den ers­ten Blick, da war das in den wenigs­ten Fäl­len das Äuße­re, wobei das natür­lich eine gro­ße Rol­le spielt. Aber meis­tens ist das, als könn­te ich in einer klit­ze­klei­nen Sekun­den einen Blick durch die Augen die­ses Men­schen in sein Inne­res wer­fen und sehen, dass dort eine Kis­te mit uner­schöpf­li­chen Reich­tü­mern auf mich war­tet. Und ich glau­be, die­se Erfah­rung ist es mir wert, mich ver­letz­lich zu machen und mei­ne Mas­ke fal­len zu las­sen.

Nächs­tes Mal frag ich, ob wir das nicht wirk­lich machen wol­len, mit dem Kaf­fee. In echt sozu­sa­gen. Ohne Fil­ter. Ver­spro­chen.