Schluss mit Orgeln!?

von Gastbeitrag

Schluss mit Orgeln!?

von Gastbeitrag

Herr­lich! Drau­ßen erwacht die Natur, die Son­ne scheint, ich bin voll­ge­packt mit Früh­lings­ge­füh­len und ich habe ’ne Bom­ben­stim­mung. Sogar, wenn ich zu Ter­mi­nen fah­re, die ich eigent­lich nicht so mag. Dann mache ich die Fens­ter in mei­nem Auto auf und crui­se mit mei­nen Lieb­lings­songs auf­ge­dreht durch die Stra­ßen Kre­felds. Da kann es schon mal was lau­ter wer­den in mei­nem klei­nen roten Flit­zer — wenn die Metal­gi­tar­ren krei­schen und gut­aus­se­hen­de Lang­haark­erle durchs Mikro schrei­en. Aber mir macht‘s Freu­de. Da kann ich unge­hal­ten mit­sin­gen, aus dem Bauch her­aus, aus tie­fer Keh­le mit­grö­len. Da wer­den Emo­tio­nen frei, wenn es um Inhal­te geht, die ich selbst ken­ne, wenn Gefüh­le und Situa­tio­nen besun­gen wer­den, die ich nach­füh­len kann, die mich berüh­ren. Da las­se ich alles raus, was in mir ist und es tut gut. Manch­mal fra­ge ich mich, war­um das in der Kir­che nicht auch so sein kann. Wenn ich da als Gast sit­ze oder als Lei­ter eines Got­tes­diens­tes, dann soll mich das doch auch berüh­ren. Dann soll ich da doch auch mit mei­nen Gefüh­len kon­fron­tiert wer­den. In der Kir­che wird doch auch gesun­gen, aber irgend­wie anders. Da tönt die Orgel dann los und ich muss mei­ne Stim­me in die Höhen schwin­gen, den Hin­tern zusam­men­knei­fen, um wie ein Engel­chen die hohen Töne zu erwi­schen. Na gut, man­che der Tex­te sind ja auch ganz süß und irgend­wie berüh­ren die mich auch, aber nicht so tief, wie die Songs, die mit­ten aus dem Bauch kom­men und wo ich all mei­ne Emo­tio­nen rein­pa­cken kann, wie bei man­chem Rock- oder Metal­song.

Manch­mal wun­dert es mich echt, dass vie­le Gemein­den so viel Koh­le in die Instand­set­zun­gen der Orgeln inves­tie­ren. Ist denn wirk­lich die Orgel das Instru­ment der Zukunft für die Kir­che? Hat es sich nicht längst aus-ge-orgelt? Hier strei­ten sich nicht nur bei den Alten die Geis­ter. Ich habe es selbst erfah­ren, in der letz­ten Oster­nacht, in der ich zum ers­ten Mal mei­ne E‑Gitarre raus­ge­holt und mich getraut habe, einen die­ser tra­di­tio­nel­len Songs mit Power­ak­kor­den zu spie­len, so dass alle die mit­sin­gen woll­ten aus dem Bauch her­aus sin­gen muss­ten. Nicht wie die Kna­ben­chö­re ganz hoch, son­dern eher wie Cam­pi­no von den Toten Hosen, mit ihrer natür­li­chen Stim­me aus dem Bauch. Mir zit­ter­ten ganz schön die Knie, aber die Stim­me wirkt viel siche­re­rer, wenn man nicht mit der Kopf­stim­me singt und mir hat’s Spaß gemacht. Hin­ter­her gab es ver­schie­de­ne Mei­nun­gen dazu. „Mutig“, sag­ten vie­le. Ein Mädel, sie war viel­leicht 19, fand es unpas­send für Kir­che. Klar, vie­le von uns sind schon so ein­ge­spielt auf die har­mo­ni­schen, seich­ten Orgel­klän­ge, dass sie sich nichts ande­res mehr vor­stel­len kön­nen und ande­re Musik nicht mehr passt. Die Orgel gehört ein­fach zur Kir­che dazu. Aber tut sie das wirk­lich? Jedem das Sei­ne, den­ke ich da. Man­chen Men­schen geht viel­leicht bei der tra­di­tio­nel­len Kir­chen­mu­sik das Herz auf und man­chem bringt die Orgel viel­leicht ein Gefühl von Got­tes­nä­he, weil sie die Musik eben aus den Got­tes­häu­sern gewohnt sind.

Ich für mei­nen Teil kann nur sagen, dass ich ger­ne nach einem Got­tes­dienst so ein Gefühl hät­te, wie nach einem rich­tig guten Kon­zert. Wo ich alles las­sen konn­te. Wo ich mich ange­spro­chen fühl­te in den Lied­tex­ten und der Musik. Wo ganz viel Tie­fe für mich mit drin war und ich aus vol­lem Her­zen und aus dem Bauch her­aus mit­sin­gen konn­te und es mir durch Mark und Bein ging. Das hat für mich etwas Ehr­li­ches, etwas Unge­zwun­ge­nes, etwas Befrei­en­des. Genau­so soll­te auch mei­ne Bezie­hung zu Gott sein. Ehr­lich, unge­zwun­gen, befrei­end! Aus die­sem Grund blei­be ich wei­ter dran, auch wenn ich mer­ke, dass es Zeit, Geduld und auch Mut kos­tet, selbst ein Instru­ment zu ler­nen und sich vor­ne hin­zu­stel­len und die Men­schen zu ermu­ti­gen laut und frei mit einem zu sin­gen. Und dann hof­fe ich, dass sich irgend­wann Leu­te anste­cken oder fin­den las­sen, die das genau­so emp­fin­den und Lust haben mit ein­zu­stei­gen und wir gemein­sam dem Orgeln ein Ende berei­ten. Zumin­dest in man­chen Got­tes­diens­ten. ;)

Rapha­e­la Rein­dorf

Foto: spaz­ta­cu­lar: Godin SDXT (CC BY 2.0)