Schmet­ter­ling

von Christian Harttig

Schmet­ter­ling

von Christian Harttig

Ich gehe sel­ten zum Grab mei­nes Vaters. Das letz­te Mal ist sicher über zwei Jah­re her. Mein Vater ruht am Ende eines Weges in einem Urnen­grab. Direkt dane­ben eine Hecke, vor der auch eine Bank steht. Es war ein Som­mer­tag und ent­schloss mich zu einem spon­ta­nen Besuch. Schon von wei­tem hat­te ich den alten Mann gese­hen, der da an einem Grab stand. Beim Näher­kom­men war klar, dass ich an ihm vor­bei muss. Und ich nahm wahr, dass sein Wei­nen ihn kör­per­lich schüt­tel­te.

Ich weiß nicht, was über mich kam, ich blieb bei ihm ste­hen, wand mich dem Grab zu, vor dem er stand. Es war wohl das Grab sei­ner Frau, Die übli­chen Lebens­da­ten und als Dekor ein Schmet­ter­ling. Ich ver­harr­te eini­ge Augen­bli­cke, leg­te dem Mann dann die Hand auf die Schul­ter und sag­te nur kurz:“alles wird gut.“ Ich nick­te ihm zu und ging die paar Schrit­te und setz­te mich auf die Bank bei mei­nem Vater. Etwas ärger­te ich mich über mich selbst. Im Nach­hin­ein emp­fand ich mich selbst als über­grif­fig. Der Mann ver­harr­te noch etwas. Er ging schließ­lich mit einem Nicken und einem lei­sen: „Dan­ke!“

Ich blieb sit­zen, genoß die Ruhe und die Son­ne auf mei­nem Gesicht. Die Vögel zwit­scher­ten, eine Amsel hüpf­te her­um. Die Natur war an die­sem früh­som­mer­li­chen Tag im Auf­bruch. Auf ein­mal sah ich den ers­ten Schmet­ter­ling des Jah­res. Wie Schmet­ter­lin­ge so sind, schein­bar ziel­los beweg­te er sich durch die Luft. Ich folg­te ihm mit mei­nem Blick. Als er sich zum ers­ten Mal irgend­wo nie­der­ließ, tat er es auf dem frem­den Grab­stein, vor dem ich eben stand. Auf dem Grab­stein mit dem ein­gra­vier­ten Schmet­ter­ling.

Pho­to by Jill Dimond/Uns­plash