Kron­kor­ken­flug

von Anne Hermanns-Dentges

Kron­kor­ken­flug

von Anne Hermanns-Dentges

Das Öff­nen einer Fla­sche mit Kron­kor­ken ist zu hören, dann noch­mal und noch­mal.
Es ist der Nach­rich­ten­ton mei­nes Han­dys.

Ich schä­le die Kar­tof­feln zu Ende, set­ze den Topf auf den Herd und öff­ne die Nach­rich­ten.

Was mir ins Auge fällt ist ein Pro­fil­bild einer ande­ren Per­son, nicht die fri­schen Nach­rich­ten.

Das Bild zeigt die kolum­bia­ni­sche Fah­ne und etwas Drum­her­um. Ich tip­pe das Bild an und wun­de­re mich. Da ich kein Spa­nisch ver­ste­he ent­schlie­ße ich mich, mei­nen Kon­takt anzu­schrei­ben.

Was steht auf dem Pla­kat? Wor­um geht es?

Schnell bekom­me ich eine Ant­wort und es geht ein paar­mal hin und her.
Dann ent­schlie­ße ich mich anzu­ru­fen, die Kar­tof­feln brau­chen noch etwas.

Ich höre von den Aus­wir­kun­gen der Pan­de­mie in Kolum­bi­en, von sozia­ler Schief­la­ge, von Unru­hen und Plün­de­run­gen. In allem die Sor­ge um die eige­nen Eltern. Wie geht das Leben wei­ter, wenn man auf der eige­nen Stra­ße Unru­hen erlebt und bes­ser im Haus bleibt?

In den Radio­nach­rich­ten habe ich davon noch nichts mit­be­kom­men, ich ver­ges­se dar­über die Kar­tof­feln und das rest­li­che Essen auf dem Herd.

Die Stim­me am ande­ren Ende des Tele­fons ist wacke­lig. Die Sor­ge, die durch mein Tele­fon strahlt, ergreift mich. Mei­ne Kin­der gie­ßen die Kar­tof­feln ab, decken den Tisch und schau­en mich an. Sie war­ten auf mich. Ich nicke, als Zei­chen, dass sie ohne mich begin­nen sol­len.

Das Tele­fo­nat, in dem vor allem die Per­son am ande­ren Ende spricht, dau­ert noch etwas. Dann ver­ab­schie­den wir uns.

Ich setz­te mich zu mei­nen jugend­li­chen Kin­dern an den Tisch und zün­de eine aus dem Schrank gehol­te Ker­ze an.

Sie fra­gen, was mich bedrückt, wer da am Tele­fon war. Es ist selt­sam still am Tisch. Nach und nach wird es leben­di­ger. Wir alle erzäh­len von den Men­schen, die wir im Zusam­men­hang mit Kolum­bi­en ken­nen. Über gemein­sa­me Erleb­nis­se und Freund­schaf­ten. Fra­gen uns, wie es den Men­schen geht.
Mehr und mehr füllt sich der Tisch mit den Men­schen, die wir mit Kolum­bi­en in Ver­bin­dung brin­gen. Da ist Maria, die aus Kolum­bi­en kommt und in unse­rem Stadt­teil wohnt. Sie hat uns schon viel vom Leben in Kolum­bi­en erzählt und gemein­sam haben wir zusam­men kolum­bia­nisch gekocht. Ihr Tem­pe­ra­ment ist zau­ber­haft und anste­ckend. Hein­rich nimmt auch bei uns am Tisch Platz. Sei­ne Augen fan­gen an zu leuch­ten, wenn er von der Schön­heit des Lan­des erzählt und den Men­schen, die dort Leben. Bern­hard, Tho­mas, Susan­ne, Mat­thi­as und Andre­as kom­men auch in unse­re Küche und setz­ten sich dazu. Sie alle waren schon ein oder meh­re­re Male in Kolum­bi­en. Haben von Pro­jek­ten erzählt, der Zer­ris­sen­heit des Lan­des und dem Mut, der Hoff­nung, mit der die Men­schen ihr Leben in die Hand neh­men. Und dann sind da noch die, deren Namen ich ver­ges­sen habe. Kolumbianer:innen, denen wir begeg­net sind. Die Atmo­sphä­re der Ver­bun­den­heit, des gemein­sa­men Trau­mes nach Frie­den und Gerech­tig­keit, die in den Begeg­nun­gen so deut­lich zu spü­ren war. Wie geht es all denen am Tisch? Und denen, mit denen Sie ver­bun­den sind?

Gemein­sam räu­men mei­ne Kin­der und ich den Tisch ab und die Küche auf.

Das Öff­nen einer Fal­sche mit Kron­kor­ken ist zu hören. Noch­mal und noch­mal.

Ich setz­te mich an den Küchen­tisch, die Kin­der sind im Haus ver­streut und die Ker­ze brennt noch.

„Dan­ke“
„Es tat gut reden zu kön­nen, über das was mich bewegt.“ lese ich.
Es folgt ein Ker­zen-Emo­ji und ein beten­de Hän­de-Emo­ji.

Einen Moment schaue ich die Ker­ze an. Nach und nach ver­las­sen alle genann­ten Gäs­te den Tisch.
Die Ker­ze pus­te ich aus, die Gedan­ken an Kolum­bi­en neh­me ich mit in den Tag.

Und dann waren da ja noch die Nach­rich­ten, die rein­ge­kom­men sind. Vor dem Essen.

Foto: Mer­ce­des Bos­quet/Uns­plash