Im Schatten des Kirchturms
von Mareile Mevihsen
Im Schatten des Kirchturms
von Mareile Mevihsen
Ich sitze im Schatten des Kirchturms. Noch ist der Schatten fern, noch küssen die spätnachmittaglichen Sonnenstrahlen meine Wangen. Wir sitzen in den nachgebildeten Grundrissen des alten Kirchengebäudes, im Denkmal, während sich neben uns der Kirchturm in den Himmel reckt. Jeder von uns an einem anderen Ort, einer von euch unterm Baum, der andere balanciert über die Steine. Ich sitze in der Sonne. Die Zeit steht still. Das hier ist meine Kirche. Hier bin ich getauft, zur Kommunion gegangen, gefirmt worden. Unzählige Jahre habe ich als Firmkatechetin selber Jugendliche begleiten dürfen auf ihrem Weg. Schon als kleines Kind flitzte ich über die Pfarrfeste, später, als junge Erwachsene, habe ich selber mitgeplant, als Pfadfinderleiterin die Zelte um die Kirche herum aufgeschlagen und vieles mehr.
Ich kann all das Atmen, während ich hier sitze. Hier bin ich Menschen begegnet, die meine Identität, meinen beruflichen Werdegang, mein Leben, maßgeblich geprägt haben. Manche von ihnen haben der Kirche den Rücken zugewandt. Von anderen habe ich mich entfernt. Ein paar wurden Freunde fürs Leben. Und ein paar wenige sind gestorben. Vielen von ihnen fühle ich mich tief verbunden.
Einige dieser Menschen haben etwas in mir gesehen, von dem ich nicht wusste, dass es da war. An mich geglaubt und mich ermutigt. Mich herausgefordert und sich an meinem Wachsen erfreut. Ohne sie wäre Kirche niemals mein Arbeitgeber geworden.
Ihr spielt jetzt hier, an diesem Ort dem ich mich verbunden fühle. Seid hier getauft weil die Zusage, dass ihr behütet seid und geborgen in einer Gemeinschaft, die mir soviel ermöglicht hat, mir wichtig war.
Als ich euch im Sonnenlicht spielen sehe, weiß nicht wie lange ich euch noch glaubhaft vermitteln kann, was an dieser — meiner — Kirche, schätzenswert ist. Wenn ihr erlebt, dass mein täglich gepredigter Satz, dass Mädchen und Jungen gleichberechtigt sind, hier nicht gilt. Wenn ihr erfahrt, dass jemand der eine Patenschaft für euch hat, als “nicht segenswert” gilt. Wenn ihr möglicherweise feststellt, dass eure Eltern eines Tages euer Wohl und das der gesamten Familie für bedeutsamer hielten, als etwas, dass die Kirche von ihnen erwartet. Wenn es darum geht, dass ihr sonntags die Kirche füllt. Und nicht darum, ob ihr euren Nächsten lieben könnt, so wie ich hoffe dass ihr eines Tages euch selbst lieben könnt.
Egal welches Geschlecht ihr habt, egal wen ihr liebt: Ich wünsche euch, dass eure heiligen Orte eure Zuflucht sind, der Ort an dem ihr die Schuhe auszieht. Der Ort, an dem ihr Gemeinschaft erlebt, an dem ihr die Person sein könnt, die ihr sein wollt. An dem ihr spürt: Da ist so viel mehr hinter den Dingen.
Und mit einer ordentlichen Portion Heiligem Geist mag das eines Tages Kirche sein — wer weiß das schon.
Foto: Jordan Whitt/Unsplash