Sys­tem­kri­se

von Gastbeitrag

Sys­tem­kri­se

von Gastbeitrag

In die­ser Woche war es ein Arti­kel über einen äußerst per­fi­den, gewalt­vol­len sexu­el­len Miss­brauch von Kin­dern in einem Speye­rer Klos­ter, der mich – am frü­hen Mor­gen gele­sen – völ­lig aus dem Kon­zept gebracht hat und mein inne­res Fass zum Über­lau­fen gebracht hat. Nur der erneu­te Gedan­ke dar­an zer­reißt mich, scho­ckiert mich, macht mich unfass­bar wütend und trau­rig und zer­rüt­tet mich in mei­nen Grund­fes­ten.

Denn zu den unfass­bar grau­sa­men Taten, die hier und an so vie­len ande­ren Stel­len gesche­hen sind, kommt hin­zu, dass es hier nicht um Ein­zel­ta­ten geht, son­dern hier eine – mei­ne? – Insti­tu­ti­on Kir­che die Täter nicht nur in ihren eige­nen Rei­hen fin­det, son­dern – und das macht es für mich beson­ders schlimm – schein­bar in vie­len Berei­chen bis heu­te deckt. Dass hier die­se Insti­tu­ti­on immer noch nicht bereit ist, lücken­los auf­zu­de­cken, Täter zu benen­nen, die vol­le Ver­ant­wor­tung zu tra­gen, Schuld – auch sys­te­misch – mit allen Kon­se­quen­zen ein­zu­ge­ste­hen. Hier hat ein gan­zes Sys­tem zuge­las­sen, dass furcht­bars­te Taten in unge­zähl­ten Fäl­len pas­sie­ren konn­ten.

Kin­des­miss­brauch in der katho­li­schen Kir­che ist kei­ne neue Erkennt­nis für mich. Und den­noch machen die Umstän­de, das Ver­hal­ten Zustän­di­ger bis heu­te es für mich immer schwie­ri­ger, mich mit dem Sys­tem Kir­che zu iden­ti­fi­zie­ren und mei­ne Bezie­hung zu ihr zu recht­fer­ti­gen; nicht nur nach außen, wo mei­ne Zuge­hö­rig­keit zur katho­li­schen Kir­che von vie­len Freun­den und Bekann­ten mit gro­ßen Fra­ge­zei­chen oder Nach­fra­gen ver­bun­den ist („Das hät­ten wir bei dir gar nicht gedacht!“), son­dern immer mehr auch nach innen.

Als Reli­gi­ons­lehr­per­son hat mich das bis­her kaum in Kon­flik­te gebracht. Manch­mal sogar im Gegen­teil. Mit mei­nen Schüler*innen kann ich dis­ku­tie­ren, habe ich Spiel­raum, ver­schie­de­ne kirch­li­che und theo­lo­gi­sche Posi­tio­nen vor­zu­stel­len, durch­zu­den­ken und dabei auch mei­ne Posi­ti­on nicht ver­ste­cken zu müs­sen. Auch die Miss­brauchs­the­ma­tik war in den letz­ten Jah­ren immer ein The­ma, das ich ganz bewusst mit Schüler*innen in ihrem letz­ten Schul­jahr the­ma­ti­siert habe. Aber irgend­wie immer mit der – viel­leicht nai­ven – Hoff­nung, dass es da einen Wan­del gibt, dass es einen Weg der Ver­än­de­rung, der Auf­klä­rung gibt, dass da ech­te Schrit­te gegan­gen wer­den. Vie­les, das gera­de – nicht zuletzt hier in Köln pas­siert – lässt mich dar­an zwei­feln.

Da kommt für mich die Fra­ge auf, ob das die Insti­tu­ti­on ist, für die ich vor mei­nen Klas­sen ste­hen will, vor der ich mir viel­leicht irgend­wann mal das Ehe­ver­spre­chen geben will, die Insti­tu­ti­on, die zu mei­nen Über­zeu­gun­gen, zu mei­nem Glau­ben passt? Eine Insti­tu­ti­on, deren Sexu­al­mo­ral und Umgang mit Ehe und Schei­tern ich nur schwer nach­voll­zie­hen kann, eine Insti­tu­ti­on, die kei­nen oder viel zu wenig Antrieb für ech­te Ver­än­de­rung hat, die die vor­han­de­nen Fra­gen der Jugend im Grun­de nicht zu beant­wor­ten schafft, eine Insti­tu­ti­on, die so drin­gend for­mu­lier­te Anfra­gen und Wün­sche nach tie­fer Erneue­rung aus innen her­aus nicht hören will, die weib­li­che oder auch jun­ge Stim­men viel­leicht eh viel zu wenig hört oder ihrem Wort sogar einen Rie­gel vor­schiebt.
Ich selbst bin sehr behü­tet auf­ge­wach­sen, nicht nur fami­li­är, son­dern auch im Glau­ben und in mei­ner Hei­mat­kir­che. Glau­ben, Kir­che hat­te etwas Leich­tes, Gebor­ge­nes, war vom Kin­der­gar­ten über mei­ne Zeit als Messdiener*in, Frei­zei­ten, Kate­che­se, Gemein­de­le­ben in mein all­täg­li­ches Leben inte­griert und lässt bis heu­te schö­ne Erin­ne­run­gen zuta­ge tre­ten. Hei­le Welt? Viel­leicht ja, aber auch mein Stu­di­um hat mich in mei­nem Glau­ben, mei­nen Ansich­ten, der Vor­stel­lung, auch kri­tisch mit Glau­ben und Kir­che umge­hen zu dür­fen, gestärkt, mir die Zuver­sicht gege­ben, Kir­che vor die­sen Vor­aus­set­zun­gen in mein Lebens­kon­zept inte­grie­ren zu kön­nen.
Viel­leicht umso grö­ßer die Dis­kre­panz zum oben beschrie­be­nen, die mir Jahr für Jahr mehr auf­geht. Dabei bedeu­tet Kir­che für mich bis heu­te vor allem auch Begeg­nung mit beein­dru­cken­den Men­schen; Men­schen, die echt sind, die etwas aus­strah­len, die ihren Glau­ben ver­mit­teln, leben, Fra­gen an ihn stel­len, bewun­derns­wer­te pas­to­ra­le Arbeit leis­ten, im Namen Jesu und der Kir­che alles geben. Nicht zuletzt die­se Platt­form hier ist für mich ein sol­cher Ort, in dem Enga­ge­ment, Tie­fe, Inter­es­se am Men­schen und der Welt, Fra­gen des Lebens, ech­te Spi­ri­tua­li­tät spür­bar wer­den.

Und den­noch oder gera­de des­halb: Ich weiß gera­de manch­mal nicht, ob ich all das Ande­re aus­blen­den kann und will, wenn ich authen­tisch leben will.
Ich muss sagen, dass ich mei­nen Job – nicht nur als Lehr­per­son, son­dern gera­de auch als Reli­gi­ons­lehr­per­son – lie­be und dass ich mei­ne Lehr­erlaub­nis nicht ver­lie­ren möch­te. Und muss ich das nicht viel­leicht fürch­ten, wenn ich hier so offen mei­ne Zwei­fel, mei­ne Kri­tik, mei­ne Ängs­te und Anfra­gen for­mu­lie­re? Ich fra­ge mich, ob mir Frei­heit nicht zu wich­tig ist, um Beden­ken haben zu müs­sen, so etwas laut aus­spre­chen zu dür­fen.

Ich füh­le mich mit dem Sys­tem, das ich in mei­ner Kind­heit, in mei­nem Stu­di­um, in all den tol­len Men­schen ken­nen­ge­lernt habe, immer noch ver­bun­den, ich füh­le mich vor allem der Bot­schaft Jesu bis heu­te ver­bun­den. Und umso mehr zer­reißt es mich zu sehen, was nicht nur pas­siert ist, son­dern gera­de jetzt pas­siert.
Ich wür­de ger­ne mit einem ver­söhn­li­chen Wort enden, sagen, dass ich den Beginn der Erneue­rung sehe, dass ich Hoff­nung habe auf einen ech­ten Wan­del. Ich wür­de auch ger­ne mit For­de­run­gen schlie­ßen, ener­gisch, mutig und zuver­sicht­lich deut­li­che Wor­te an die Zustän­di­gen rich­ten, was sich alles tun muss. Aber all das wur­de schon so oft getan und wird gera­de jetzt von so vie­len muti­gen, enga­gier­ten Frau­en und Män­nern getan. Ich bewun­de­re von Her­zen alle, die sich bis heu­te nicht haben aus der Bahn wer­fen las­sen und für ihre Kir­che kämp­fen, die nichts Ande­res sein soll­te, als der ehr­li­che Ver­such, das Reich Got­tes auf Erden immer mehr anbre­chen zu las­sen.

Ich hof­fe dar­auf, für mich her­aus­zu­fin­den, was mein Weg ist, viel­leicht auch den Mut zu fin­den, genau hier wei­ter­zu­ma­chen und die Hoff­nung nicht zu ver­lie­ren. Aber heu­te fehlt mir die Kraft dazu. Viel­leicht über­mor­gen auf ein Neu­es.

Foto: Glenn Cars­tens-Peters/Uns­plash