Unan­tast­bar

von Tanja Hannappel

Unan­tast­bar

von Tanja Hannappel

Licht – Licht, das den gan­zen Raum durch­flu­tet, bis in die hin­ters­ten Ecken vor­dringt, sanf­te Schat­ten wirft… Ich bin klar.

Far­ben – Far­ben, die den Raum bele­ben, ein­neh­men, fast spür­bar wer­den… Ich tau­che ein.

Natur – Säu­len, die wie Baum­stäm­me in den Him­mel ragen und sich dort ver­äs­teln, Schild­krö­ten, die den Ein­gangs­be­reich säu­men, … Ich bin da.

Wei­te – Wei­te und Höhe, die sich aus­brei­ten, durch die Gän­ge hin­durch- und die Baum­säu­len hin­auf­wan­dern … Ich füh­le mich frei.

Gän­se­haut, ein Gefühl von Wär­me, Still­wer­den, Wir­ken­las­sen, … das ver­bin­de ich mit der Sagra­da Fami­lia in Bar­ce­lo­na, dem noch nicht fer­tig­ge­stell­ten Meis­ter­werk Anto­ni Gau­dís. Die Sagra­da Fami­lia auf einer ratio­na­len Ebe­ne zu beschrei­ben, gin­ge für mich am The­ma vor­bei. Sie ist für mich ein emo­tio­na­les Erleb­nis; kei­ne Kir­che, an der ich ratio­nal theo­lo­gi­sche Aus­sa­gen oder Moti­ve dar­le­gen könn­te oder woll­te. Nein, sie spricht mich auf einer ganz ande­ren Ebe­ne an. Und viel­leicht passt sie auch ein­fach sehr zu mir ganz per­sön­lich:

Wer mich kennt, weiß, wie sehr ich den Som­mer lie­be. Nicht weni­ge Freun­de müs­sen sich immer wie­der anhö­ren, „wie viel tol­ler es an die­sem oder jenem Ort wohl wäre, wenn jetzt Som­mer wäre und die Son­ne schie­ne“. Die Wär­me, die Son­nen­strah­len auf der Haut, die warm­flim­mern­de Luft, das Leben auf den Stra­ßen, all das lässt mein Herz auf­ge­hen. – Der Stand­ort, aber vor allem die licht­durch­flu­te­te Atmo­sphä­re die­ser Kir­che ist also schon etwas, das mein Herz tat­säch­lich berührt.
Noch etwas, das mich immer wie­der fas­zi­niert, sind Far­ben. Bunt ist wohl tat­säch­lich „mei­ne Lieb­lings­far­be“. Das lebe ich viel­leicht nicht mehr so deut­lich bei­spiels­wei­se in mei­ner Woh­nung aus, aber den­noch darf es gera­de in der Natur farb­in­ten­siv zuge­hen. Die tief­oran­ge­far­be­nen Fel­sen des Bryce-Can­yon sind ein mir im Gedächt­nis geblie­be­nes Natur­wun­der genau wie ein strah­lend blau­er Him­mel, eine tief­grü­ne Wie­se oder nicht zuletzt ein strah­len­der Regen­bo­gen. – Das Ein­ge­nom­men­sein von Far­be, das man – beson­ders an einem son­ni­gen Tag – in der Sagra­da Fami­lia erle­ben kann, das ist für mich, auch wenn es für ande­re kit­schig erschei­nen könn­te, Ästhe­tik pur.
Und da sind wir schon bei der Natur. Auch als beken­nen­de Stadt­lieb­ha­be­rin ist die Natur für mich Erho­lung, Durch­at­men und Leben, gera­de mit­ten in der City. Ich lie­be Tie­re, mei­ne wun­der­vol­len Parks und Grün­flä­chen und könn­te mich stun­den­lang an den Rhein set­zen und ihm beim Flie­ßen zuschau­en. – Und auch das fin­de ich hier wie­der: Lie­be­voll sind über­all orga­ni­sche Struk­tu­ren und For­men, Blät­ter, Pflan­zen und Tie­re zu ent­de­cken. Manch­mal für mich kaum zu fas­sen, dass es sich um ein archi­tek­to­ni­sches Gebäu­de, dazu noch aus Stein, han­delt, so belebt wirkt alles.
Ja, und die Wei­te und Höhe: Mich frei, auto­nom, weit zu füh­len, mir kei­ne zu engen Gren­zen – gera­de in mei­nem Inne­ren – zu set­zen, auch das gehört sicher­lich als zen­tra­les Bedürf­nis und Her­aus­for­de­rung zu mir.

Und auch wenn noch so viel mehr zu sagen wäre, zur Gestal­tung der Außen­fas­sa­de in sei­ner form­haf­ten Sym­bo­lik, den Figu­ren, den vie­len klei­nen Details, den Hin­ter­grün­den, … an die­ser Stel­le ist in man­cher Hin­sicht für mich doch erst ein­mal genug gesagt. Wer sich ein Bild machen will, muss die Sagra­da Fami­lia mei­ner Mei­nung nach mit allen Sin­nen erle­ben… und sehen, was sie mit ihm macht. Über Geschmack oder auch theo­lo­gi­sche Deu­tun­gen lässt sich sicher­lich strei­ten – oder eben auch nicht. Aber für mich ganz per­sön­lich ist die Sagra­da Fami­lia ein Stück weit – pas­send zu ihrem Namen – unan­tast­bar, ein Ort zum Auf­at­men, Abtau­chen, Füh­len, Stau­nen, Ganz-da-sein und Spü­ren; nicht auf mei­ne durch­aus oft sehr ratio­na­le Art, an Din­ge her­an­zu­ge­hen, son­dern als ein tie­fes Gefühl, eine Ahnung von einem Mehr…

Foto: Giu­lia Angot­ti/Uns­plash