Von Ele­fan­ten

von Tanja Hannappel

Von Ele­fan­ten

von Tanja Hannappel

Seit ich mich vor fast zwei Jah­ren bei einer Safa­ri in Nami­bia in einem offe­nen Jeep auf ein­mal umringt von einer gan­zen Ele­fan­ten­fa­mi­lie wie­der­ge­fun­den habe, die – uns kaum beach­tend – rechts und links an uns vor­bei­zog, habe ich ein Lieb­lings­tier. Natür­lich hat­te ich vor­her schon Ele­fan­ten im Zoo gese­hen, aber die­se Tie­re in frei­er Natur so haut­nah, fast greif­bar zu erle­ben, war ein ganz beson­de­rer Moment, den ich wahr­schein­lich nicht mehr ver­ges­sen wer­de. Beson­ders beein­dru­ckend war ihre unglaub­li­che Ruhe und Gelas­sen­heit – fast schon Igno­ranz uns gegen­über – und das bei ihrer unfass­ba­ren Grö­ße und Kraft.

Vor kur­zem habe ich eine klei­ne Geschich­te* ent­deckt, die mei­ne Auf­merk­sam­keit zunächst ein­mal dadurch erreg­te, dass dar­in ein Ele­fant eine Rol­le spielt. Es geht dar­in um die Fra­ge, war­um ein an einen klei­nen Pflock ange­ket­te­ter Ele­fant sich nicht los­reißt und befreit; stark genug wäre er ja ohne Pro­ble­me. Das weiß man erst recht, wenn man die­se Tie­re ein­mal in der Natur hat agie­ren sehen. Schließ­lich fin­det der Autor der Geschich­te fol­gen­de Ant­wort: Der Ele­fant wur­de schon als klei­ner Ele­fant an die­sen Pflock ange­bun­den. Damals war er wirk­lich nicht stark genug, um sich zu befrei­en. Der Pflock hat ihm das deut­lich gezeigt, so deut­lich, dass er irgend­wann auf­ge­hört hat, es zu ver­su­chen. Als er erwach­sen, groß und stark gewor­den ist, hat er die Über­zeu­gung, sich nicht befrei­en zu kön­nen, so ver­in­ner­licht, dass er sich die­ser Frei­heits­be­schrän­kung beugt und sie nie mehr wie­der in Fra­ge stellt.

Gera­de mit mei­nem Bild der frei­le­ben­den Ele­fan­ten im Kopf hat mir die Geschich­te, so trau­rig sie ist, doch gefal­len. Einen sol­chen Pflock, der uns anket­tet, haben wir viel­leicht alle: gelern­te Über­zeu­gun­gen, dass wir etwas nicht kön­nen, ein­fach nicht hin­be­kom­men, zu klein oder zu schwach sind. Und viel­leicht haben wir die­se Din­ge wirk­lich ein­mal nicht hin­be­kom­men, waren tat­säch­lich noch zu klein dafür. Viel­leicht war die­se Erfah­rung eine schmerz­haf­te, viel­leicht hat­ten wir auch das Gefühl, dass unser Umfeld uns genau dies bestä­tigt: Du kannst das ein­fach nicht! Aber viel­leicht hät­ten wir ein­fach ein biss­chen mehr Zeit gebraucht, viel­leicht ein biss­chen mehr Zutrau­en in uns, viel­leicht den mut­ma­chen­den Zuspruch, es auch nach dem zehn­ten Mal noch ein­mal zu ver­su­chen oder die Geduld und Ein­sicht, dass es ein­fach noch nicht der rich­ti­ge Zeit­punkt ist. Aber ein­ge­prägt hat sich doch die so fes­te Über­zeu­gung, es ein­fach nicht zu kön­nen und es am bes­ten auch gar nicht mehr zu ver­su­chen.

So trau­rig die­se Geschich­te wie die mit ihr ver­bun­de­ne Ein­sicht auch ist, macht sie also irgend­wie auch Mut: Mut, die eige­ne Stär­ke wahr­zu­neh­men, fest­ge­setz­te Über­zeu­gun­gen immer wie­der in den Blick zu neh­men, „Ket­ten“ manch­mal viel­leicht wie selbst­ver­ständ­lich zu lösen, sich von Auf­fas­sun­gen zu befrei­en, die einen ein­schrän­ken…

Wenn ich an „mei­ne“ nami­bia­ni­schen Ele­fan­ten den­ke, erscheint das so selbst­ver­ständ­lich und leicht wie es für den ange­ket­te­ten Ele­fan­ten unmög­lich erscheint.

*Aus: Jor­ge Bucay: Komm, ich erzähl dir eine Geschich­te. Fischer 2012.

Foto: Slim Emcee/Uns­plash