Kein Virus
von Tobias Kölling
Kein Virus
von Tobias Kölling
Zufällig finde ich einen Tweet, der sich über die letzte Folge des „festundflauschig“-Podcast beschwert. Weil Jan Böhmermann vom Kochen erzählt und hofft, dass er Fleisch genau so hinbekommt: “… durchgesuppt wie beim echten Chinesen, wo man nicht weiß: ist das jetzt ein gebratener Mensch, Hund, Katze, Fledermaus — es kann eigentlich alles sein.”
Und in mir zieht sich alles zusammen.
Weil es Menschen betrifft, die ich kenne. Und in zweiter Linie, weil ich Böhmermann für klüger gehalten hätte. Man kann über den „Chinesen“ (aka ‚das chinesische Restaurant‘) lästern, den man regelmäßig besucht, weil er alles zusammenkocht und man es nicht mehr erkennt. Punkt. Aber zuerst geliebte Haustiere erwähnen und dann noch die eklige Fledermaus (eine Hypothese), die frei nach „In China essen sie Hunde“-Logik eifrig verknüpft wird und schon seit Wochen Vorurteile bedient – dreht eine Umdrehung weiter.
Natürlich lässt sich das hinter dem Argument „Ironie“ verstecken. Aber nur in Unkenntnis der Tatsache, dass es Menschen gibt, die so etwas immer und immer wieder zu hören bekommen.
Damals im Kölner Kino hatte ich KollegInnen verschiedenster Hautfarben, Altersgruppen und Geschlechter, bzw. sexueller Orientierungen. Das konnte schonmal kompliziert werden und die Arbeit war keineswegs durchgehend konfliktfrei. Aber ich habe mich zunehmend bemüht, die Ohren offen zu halten und äußere Merkmale nicht zu Kategorien werden zu lassen, die meine Entscheidung beeinflussen. Wer Scheiß baute, bekam das zu hören. Aber nie, weil er eine Kategorie erfüllte. Nie mit der Haltung: ‚Ihr‘ seid halt so.
An einem Tag stand ein neuer Mitarbeiter vor mir und sagte: „Du kannst mich einfach bei meinem Nachnamen rufen, der Vorname ist zu kompliziert.“ In dem Moment war es reine Eitelkeit, die mich beharrlich werden ließ: Ich kann gerne Sachen und lerne gerne. (Und ich lernte.) Aber es wurde zu einer Grundüberzeugung, Menschen nicht schon am ersten Arbeitstag ausgerechnet ihren Namen zu nehmen. Sondern ihn zu lernen. Integration ist nicht, wenn ein anderer sich in meine Welt einfügen muss. Integration ist ein Tanz, ein Neu-Verhandeln und Wachbleiben füreinander.
An einem anderen Tag kontrollierte ich den Einlass an einem Saal, der Film war ab 16. Zwei Jugendliche ohne Ausweis pöbelten: Ich sei rassistisch, wenn sie deutsch wären, kämen sie rein. Ich funkte die beiden Teamleiterkollegen an.
Sie kamen fröhlich lächelnd herangeschlendert; der Kollege aus Marokko (‚Süd-Süd-Spanien‘, sagte er immer) und der Kollege aus Taiwan. Und betonten souverän, Rassismus würde von keinem von uns dreien vertreten. Starke Haltung. Aber das funktionierte deshalb so entspannt, weil wir einander vertrauten und uns respektierten.
Ich habe in über zehn Jahren viele Gespräche zwischendurch geführt – und zunehmend versucht, von fremden Erfahrungen zu lernen. Und traf meistens auf Offenheit, denn auch mich muss man erstmal ertragen können.
Zurzeit erlebe ich aktiv in meinem Arbeitsfeld zwar weiterhin Vielfalt, nicht aber diese spezielle Buntheit von damals. Trotzdem bleibt sie mir ein Bedürfnis und ein Schatz an Erfahrung. Und ich hinterfrage mich selbst noch einmal, weil ich damals noch einen Unterschied machte, der mir heute nicht unbedingt einsichtig scheint: Wenn sich Kollegen lange genug kannten, dann piesackte man sich gegenseitig auch schonmal mit Klischees. In dem Gefühl, dass man jeweils voneinander wusste, wie es gemeint war. Ich bin da heute nicht mehr so sicher, ob das tatsächlich in Ordnung war. Aber nichtmals diese Ebene wird ja heute noch oft erreicht, kann online selten erreicht werden, weil es da keine „geschlossenen“ Räume gibt, sondern immer noch andere mitlesen.
Und darum regt es mich auf, dass mit Corona plötzlich ein in „Ironie“ gekleideter Rassismus wieder verstärkt wird. Neben den (nur scheinbar) objektiven Illustrationen in den Medien, die gehäuft asiatische Gesichter mit Mundschutz veröffentlichen, sind sich auch mediale Formate nicht zu schade, das Bild des „schlitzäugigen“ Asiaten zu bedienen. Und Menschen, die hier großgeworden sind, die sich als Deutsche verstehen (und selbst wenn nicht!), und seit der Kindheit „Ching-Chang-Chong“ zu hören bekamen, erleben sich wieder als Zielscheibe, nicht als Partner in einer Krise. Während aber eine Oma im Hühnerstall einen mee-too-würdigen Aufschrei eines Ministerpräsidenten und eine dramolett live-geschaltete Entschuldigung eines Intendanten am Bett seines kranken Vaters hervorrief, gibt es wenig klare öffentliche Äußerungen in diesem Kontext.
Ein Kollege machte mich dabei auf ein Detail aufmerksam: Wer in der asiatischen Kultur groß wird, wird vor allem zur Höflichkeit erzogen. Und so werden viele Äußerungen erduldet. Umso wichtiger muss es doch sein, einzuspringen, beizustehen, das Gefühl in Unterzahl zu sein, zu verringern.
Im Netz geschieht das. Mit dem Hashtag #ichbinkeinvirus halten Twitterer dagegen; bisher allerdings meist die Betroffenen selbst. Ich wünschte, es würde bald unnötig. Und ich hoffe, ich reagiere selbst schnell genug, wenn es notwendig ist.
(Anmerkung: Ich habe Nationalitäten und Namen abgeändert. Es geht um die Pointe, nicht ums Wiedererkennen der einzelnen Personen.)