Gemüsebrühe ist alle
von Christian Schröder
Gemüsebrühe ist alle
von Christian Schröder
Menschen haben ein unterschiedlich ausgeprägtes Sicherheitsbedürfnis. Einige planen ihr ganzes Leben so, dass Job, Haus und Rente möglichst früh möglichst klar geregelt sind. Wenig Risiko, viele Versicherungen, möglichst viel Sicherheit. Andere wollen sich nicht festlegen, schätzen Freiheit und Selbständigkeit höher ein, arbeiten eher in Jobs, in denen das Einkommen nicht jeden Monat verlässlich aus der Steckdose kommt, finanzieren keine Eigentumswohnung. Ich bin irgendwo dazwischen. Es kommt sehr drauf an, wo ich lieber auf Nummer sicher gehe und wo ich gern flexibel bleibe.
In der aktuellen Situation bemerke ich an mir selbst, wie ich bei Dingen unsicher werde, über die ich sonst nie nachgedacht habe. Heute Mittag war die Gemüsebrühe alle. Da ich zur Zeit den Großteil des Tages mit zwei kleinen Kindern alleine zuhause bin, weil deren Kita geschlossen ist, muss ich plötzlich jeden Tag kochen. Ich mache das gern (auch wenn beide nicht ganz leicht zufriedenzustellen sind), aber ich bin nicht extrem geübt darin und kann in der Küche nicht so gut experimentieren. Normalerweise plane ich alles ein, wenn ich kochen will, kaufe exakt die passenden Zutaten, koche alles nach Rezept. Sicherheit, Planbarkeit — damit ich es auch hinkriege, was Leckeres auf den Tisch zu bringen. Normalerweise würde es mich nicht aus der Ruhe bringen, dass ein Grundbestandteil meiner Küche gerade aufgebraucht ist. Aber seit ein paar Tagen ist auch das anders. Ich kann nicht eben schnell Nachschub holen, denn mit Kleinkindern in den Supermarkt ist gerade keine gute Idee. Dabei sind die Vollversorger am anderen Ende des Stadtteils ein so wesentlicher Bestandteil für mein Sicherheitsgefühl. Und jetzt werde ich nervös, weil meine Flexibilität eingeschränkt ist und meine Planungen viel grundlegender werden müssen.
Um zur Sicherheit für alle beizutragen, besonders für Alte und Kranke, muss ich auf manche liebgewonnene Sicherheiten erstmal verzichten. Das muss jetzt sein. Und ich hoffe, dass ich und ihr alle es schaffen, den Boden nicht zu verlieren, auf dem wir stehen, wenn sich gerade die Sicherheiten unserer Leben neu sortieren.