Die Geschich­te von N.

von Mareile Mevihsen

Die Geschich­te von N.

von Mareile Mevihsen

“Ich bin schwan­ger”, sagt sie und ich ver­schlu­cke mich fast an mei­nem Essen. “Ich schaff das nicht noch­mal”, den­ke ich sofort. Aber ich muss. Wenn sie es schafft, dann schaf­fe ich das auch. Ich muss. Eine ande­re Opti­on gibt es nicht.

Fast zwei Jah­re ist es her, da stand ich auf dem Fried­hof und habe die Kin­der mei­ner Freun­din begra­ben. Neben ihrem ers­ten tot­ge­bo­re­nen Kind, lagen dann zwei wei­te­re. N. und ihr Mann hat­ten mit allen Mit­teln gekämpft um die Zwil­lin­ge. Über Wochen waren wir alle im Aus­nah­me­zu­stand. Am Ende: Umsonst.

Die Geschich­te von N., dem mutigs­ten Men­schen, den ich ken­ne, beschäf­tigt mich, solan­ge es Raum­rau­schen gibt (Ster­nen­kind, Am Ende der Wor­te). Heu­te erzäh­le ich sie zu Ende.

Als sie wie­der schwan­ger wird, unge­plant, unver­hofft, ein medi­zi­ni­sches Wun­der, nur weni­ge Wochen nach der Beer­di­gung der Zwil­lin­ge, beginnt das Ban­gen von vor­ne. Wochen­wei­se. Ich zucke zusam­men jedes Mal, wenn sie anruft. Die Angst ist stän­di­ger Beglei­ter, zu hof­fen wagt kaum einer. Kurz nach Weih­nach­ten sind die Wochen vor­bei, in denen sie die vor­he­ri­gen Kin­der ver­lo­ren hat. “Und jetzt?”, fragt sie. “Ich hat­te kei­nen Plan, es gab immer nur den Tag X. Ich weiß nicht, was ich jetzt tun soll”. “Jetzt”, sage ich lei­se, “jetzt bekommst du ein Baby.”

Jonah wird gebo­ren ein Jahr und vier Tage nach der Geburt sei­ner Brü­der. Sei­ne Augen tra­gen die Ruhe sei­nes Vaters in sich. Wenn er lächelt; sieht er aus wie sei­ne Mut­ter.

Ich erin­ne­re mich noch gut, wie wir da saßen, an einem Früh­lings­tag im Mai, nach der Beer­di­gung im Jahr davor. Fami­lie, Freun­de und Bekann­te von N. und A.. Man­che von uns waren sich fremd. Aber an die­sem Tag waren wir eins. Und ich weiß noch, wie jemand den Sekt auf­mach­te um 16:00 uHR und sag­te, das soll­ten wir öfter tun an einem Don­ners­tag­nach­mit­tag, an dem die Zeit still­steht: Auf den Tod trin­ken. Und auf das Leben. Und alles dazwi­schen. Weil in die­ser tiefs­ten unend­li­chen Trau­rig­keit wir ein­an­der hat­ten, das ein­zi­ge was hielt.

Heu­te wird Jonah ein Jahr alt. Der Jun­ge mit den mutigs­ten Eltern der Welt.

Und wäre das hier ein Mär­chen dann wür­de ich enden mit “…und sie leb­ten glück­lich bis an ihr Lebens­en­de”. Das ist es lei­der nicht. Aber das ist, was ich ihnen von Her­zen wün­sche. Hap­py Bir­th­day, Jonah.

Foto: David Nieto/Uns­plash