Willkommen zurück
von Mareile Mevihsen
Willkommen zurück
von Mareile Mevihsen
Da ist er also. Ausgerechnet heute, meine Nacht war kurz und ich bin gedanklich noch mitten in den Erlebnissen des Wochenendes. “Schön dich kennenzulernen” sage ich. Hellblaue Augen treffen meine. Das ist also mein Patenonkel. Heute sehe ich ihn zum ersten Mal.
Ich verstehe schnell, was meine Eltern in ihm gesehen haben müssen. Ich kenne meinen Cousin väterlichseits nur von den Bildern meiner Taufe: Groß ist er. Ein ernster junger Mann mit Vollbart und einem verschmitzten Lächeln im Gesicht. Einmal hat er meine Eltern noch besucht nach der Taufe. Danach nie mehr. Ich bin zu jung, mich zu erinnern, ich kenne nur die Geschichte ohne Hintergründe. Mein Onkel trennte sich von seiner Frau und verlor damit auch die Herzen seiner Kinder. Und wir verloren sie auch. Ich bin in dem Bewusstsein groß geworden, dass es da draußen noch einen Cousin und eine Cousine gibt, die ich nicht kenne. Dass da ein Mensch ist, der zugesagt hat, mich zu begleiten bei meiner Taufe. Und es nie getan hat.
Immer wieder hat mich das beschäftigt. Nicht immer und ständig. Aber alle paar Jahre mal habe ich mich gefragt, ob er da noch manchmal dran denkt. Ob er das vergessen hat. Oder es ihm egal ist. Als meine Kinder getauft wurden, war das mein Kriterium: Welche Beziehung halte ich für so tragfähig, dass ich meinen Kindern ermöglichen kann, ihre Paten als solche wahrzunehmen.
Jetzt steht er also vor mir, mein Pate. Die erste E‑Mail kam nach dem Tod seiner Mutter. Ein vorsichtiges Annähern. Alle freuten sich riesig.
Und jetzt sitzt er da zwischen uns. Ich gucke zu kritisch, denke ich. Ich muss mehr reden. 33 Jahre, wo fängt man da an? Meine Schwestern haben es leichter, sie haben Anknüpfpunkte. Eine gemeinsame Geschichte, die mir unbekannten Großeltern. Ich starte bei Null. Bin vorsichtig, das Eis fühlt sich noch dünn an. Ich glaube, wir könnten uns mögen. Ich sehe viel Fremdes in seinem Gesicht. Und manches Vertrautes. Sehe die Ähnlichkeit zu meinem Vater und seinen Brüdern. Was steckt wohl Gemeinsames in uns? Wenn er mit jemandem spricht, dann ist er ganz bei diesem Menschen. Er versteht meinen Humor. Er strahlt Wärme aus. Er liebt ganz offensichtlich das, was er tut und die Menschen in seinem Leben. Als der Mini an ihm hochkrabbelt, zieht er ihn auf seinen Schoß. Ungewohnt fühlt sich das an. Ungewohnt, aber nicht unstimmig.
Im Mai vor 33 Jahren hat mit meiner Taufe unsere gemeinsame Geschichte begonnen, ohne geschrieben zu werden. Heute ist Pfingstmontag. “Du bist immer willkommen”, sage ich zum Abschied. Schreiben wir sie neu.