Neu gelernt (zu beten)

von Matthias Fritz

Neu gelernt (zu beten)

von Matthias Fritz

Ich weiß nicht, wie oft ich es schon gebe­tet habe. Aber ich ver­mu­te, dass mir das Vater­un­ser wohl in einer Zahl im fünf­stel­li­gen Bereich durch die Gedan­ken und über die Lip­pen gegan­gen ist.

Vor einer Woche in Isra­el durf­te ich es aller­dings noch ein­mal neu ver­ste­hen ler­nen. Denn eine ara­bi­sche Chris­tin erklär­te mir, wie es zu sei­ner Ent­ste­hung in der Bibel kam.

Zwei Mal fin­den wir das Vater­un­ser in der Bibel, ein­mal in der Dar­stel­lung der Lebens­ge­schich­te von Jesus bei Mat­thä­us und ein­mal bei Lukas. Bei­de begin­nen damit, dass die Jün­ger Jesu beten ler­nen wol­len bzw. sol­len. Bei Mat­thä­us kor­ri­giert Jesus sie und mahnt sie, wie sie auf kei­nen Fall beten sol­len: „Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plap­pern wie die Hei­den, die mei­nen, sie wer­den nur erhört, wenn sie vie­le Wor­te machen.“ (Mt, 6,7) Bei Lukas fra­gen die Jün­ger Jesus direkt wie sie beten soll: „Herr, leh­re uns beten, wie auch Johan­nes sei­ne Jün­ger beten gelehrt hat!“ (Lk 11,1)

Aus bei­den Anfangs­sze­nen spricht Unsi­cher­heit und Wiss­be­gier. Die Jün­ger wol­len beten ler­nen, weil einer­seits die Jün­ger von Johan­nes auch beten dür­fen. Ande­rer­seits schei­nen Anders­gläu­bi­ge öffent­lich und frei gebe­tet zu haben und Men­schen jüdi­schen Glau­bens waren ver­un­si­chert. Des­we­gen ermahnt sie Jesus, was fal­sches Beten ist.

Es ist das Bild von einer mul­ti­re­li­giö­sen Gesell­schaft in Jeru­sa­lem. Juden und Anders­gläu­bi­ge leben hier zusam­men und tei­len sich die Stadt. Natür­lich merkt man, wie die jeweils Ande­ren ihren Glau­ben leben und eben auch beten. Aber selbst unter den Men­schen jüdi­schen Glau­bens ist das Beten nicht weit ver­brei­tet. Denn Jeru­sa­lem lebt vom und für Tem­pel in sei­ner Mit­te und dort betet nur die Grup­pe der Pries­ter und der Hohe­pries­ter. Das Gebet von ande­ren Juden ist in sei­nen Augen und in den Augen der Men­schen vom Tem­pel nicht wich­tig. Nach dem Mot­to: „Die sol­len nur Geld für Opfer geben oder Opfer­tie­re mit­brin­gen. Den Rest erle­di­gen wir.“ In den Augen der Tem­pel­hier­ar­chie ist das die exklu­si­ve Ver­bin­dung der Pries­ter mit Gott. Der Rest des Vol­kes braucht die­se Ver­bin­dung nicht – oder nur durch sie.

Eine Erfah­rung aus ihrem All­tag ver­un­si­chert die Jün­ger Jesu und ihn auch selbst: War­um aber tun es die Anders­gläu­bi­gen und war­um auch die Jün­ger des Johan­nes und war­um lehnt sich Johan­nes gegen die Pries­ter am Tem­pel auf und bringt sei­nen Leu­ten das Beten bei? [By the way: Lukas erzählt, dass der Vater von Johan­nes sel­ber einer von die­sen Pries­tern am Tem­pel war (Lk 1,5 – 25). Das schreit nach einem Fami­li­en­streit! J]

Die Jün­ger von Jesus wol­len und sol­len es auch tun. Und so bringt er Ihnen das Gebet bei, was für ihn die wich­tigs­ten Gedan­ken für die Bezie­hung mit Gott und den Men­schen ent­hält:

  • Gott ver­wan­delt die­se Welt zu sei­nem Reich und wir dür­fen uns dar­an erfreu­en,
  • des­we­gen ist er groß­ar­tig („hei­lig“),
  • er sorgt für uns jeden Tag und meint es gut mit uns und
  • er mutet uns Frie­den und Ver­söh­nung zu, damit alle (Gott und die Men­schen) mit­ein­an­der gut leben kön­nen.

Für Jesus geht das aber nur, wenn alle Men­schen erken­nen, dass sie eine ganz per­sön­li­che und wert­vol­le Bezie­hung mit Gott leben und dass kein Pries­ter das für Sie über­neh­men bzw. ihnen weg­neh­men kann.

Es hilft also auch den Blick mal auf die Frem­den und die Umge­bung der bibli­schen Geschich­ten zu wer­fen. Es geht dabei nicht nur um das hei­li­ge Volk. Wir ler­nen uns sel­ber viel­leicht noch bes­ser ken­nen, wenn wir schau­en, wie wir Frem­de erle­ben und mit ihnen umge­hen.