Herbstzeitlose
von Mareile Mevihsen
Herbstzeitlose
von Mareile Mevihsen
Die Herbstzeitlosen in den Wiesen, das ist das Ende des Sommers.
Ein Satz den ich im Jugendalter in einem Buch las und der mich immer irgendwie berührt hat. Er klang nach den letzten Sonnenstrahlen, nach Schönheit, nach Schwermut.
In diesem Jahr lässt der Sommer sich nochmal Zeit zu gehen, trotzdem liegt ein Hauch von Herbst in der Luft.
Für mich heißt das Sommerende, Ende des Elterngeldbezugs und damit: Willkommen in der Ungewissheit. Die Entscheidung noch etwas mehr Zeit mit dem Kind zu verbringen kam von Herzen. Das Wissen darum, dass die Person mit dem höheren Gehalt zuhause bleiben würde, verschwand immer hinter dem “wird schon irgendwie gehen”. Die Existenzangst kommt erst jetzt.
Wenn Freunde mir sagen, bei ihnen wäre es auch schon mal knapp, dann traue ich mich selten zu sagen, dass knapp bei uns heißt, dass möglicherweise am Ende des Monats kein Geld mehr für Essen da ist. Dann geht es mir nicht darum, dass ich vielleicht auf absehbare Zeit keinen Urlaub mehr machen oder keine neuen Klamotten kaufen kann. Da geht es darum, ob ich mit gutem Gewissen Biogemüse für das Kind kaufen kann, weil ich weiß es treibt uns in den Ruin. Da geht es darum, wie viele Fahrten zu weiter weg wohnenden Freunden ich mir leisten kann, im Wissen um die Spritkosten. Ob ich mir nen Kaffee noch leisten kann und wenn ja, dann das billigste Getränk wählen muss. Am schlimmsten finde ich, dass wir eigentlich nichts mehr zu Geschenken beisteuern können in den nächsten sechs Monaten, weils einfach nicht drin ist.
Was sagt man also in so einer Situation? Wir sind jetzt arm? Darf man das, wenn man in einer Stadt mit immens hoher Millionärsdichte wohnt? Wenn man zwei Autos hat und eine Putzhilfe? Hat man das Recht sich da zu beschweren? Oder ist es egoistisch als Hauptverdiener zuhause zu bleiben?
Ich sah es kommen, den Sommer über. Jetzt ist sie also da die Realität. Bei jeder Rechnerei, die wir zuhause anstellen, frage ich mich all das immer wieder. Weiß dass wir uns demnächst über jeden einzelnen Euro streiten werden. Und ob das dumm ist oder naiv, so entschieden zu haben. Muss mir anhören wie arbeitende Menschen erwähnen, wie schön es doch wäre, wenn man im Muttersein so aufgeht. Den Preis der dafür bezahlt werden muss, sehen die Wenigsten.
Was gegen die Angst hilft? Wenig.
Vielleicht die gemeinsame Entscheidung, diesen Weg zu gehen für uns als Familie. Vielleicht die Hoffnung, dass unser soziales Netz so stark ist, dass es uns auffängt. Vielleicht der Glaube, dass wir nicht allein sind mit dem, was uns umtreibt. Vielleicht ist es Mut, endlich mal loszulassen und zu springen. Weil ich es nicht wusste, aber das, genau das, einer der großen Träume meines Lebens war: Einen kleinen Menschen aufwachsen sehen zu dürfen mit aller Zeit dieser Welt.
Ich weiß nicht ob es das wert ist. Ich habe immer noch Angst. Aber ich vermute unsere Welt zerbricht nicht an der Zeit, die wir uns füreinander nehmen, an der Liebe, die wir zulassen, an dem was wir gemeinsam angehen. Deshalb glaube ich daran, dass es gut gehen wird, irgendwie.
Als ich diese letzten Zeilen schreibe und noch überlege, wie ich enden soll, klettert er an mir hoch und schmiegt sich an mich. Große blaue Augen strahlen mich an. Es gibt nichts mehr zu sagen.